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Die struppige Hexe Doris

Wir hatten das kleine Terrier-Mix-Mädchen Doris von einem Hilfsgütertransport aus Serbien mitgebracht, nicht ahnend, daß ihr Wesen ebenso widerspenstig war wie ihre struppigen, drahtigen Haare.

Doch zuerst hatten wir von ihrer kratzbürstigen Seite noch keine Ahnung. Schmusig, lieb, anhänglich und spaßig, wie sie war, hatten wir viel Freude an ihr und nahmen auch ihre Scheu vor Fremden gar nicht so ernst. “Das wird schon”, pflegt man in solchen Situationen zu tönen.
Obwohl sie sich sichtlich wohl fühlte bei uns - kein Wunder: so ziemlich alles ist besser, als dieses Tierheim in Belgrad, wo sie herkam - obwohl sie sich also bei uns recht wohl fühlte, wollten wir natürlich ein neues Zuhause für sie suchen. Schließlich sammeln wir hier keine Hunde, sondern schicken sie, wenn irgend möglich, wieder ins Leben hinaus.
Also kam ein Paar aus München-Sendling angereist, sich unsere Doris anzuschaun. Vor allem Herr S. war es, dessen Herz die Kleine mit einem einzigen Augenaufschlag erobert hatte. Nur konnte Doris mit dem eroberten Herzen absolut nichts anfangen; sie wollte nämlich mit diesen Leuten partout nichts zu tun haben, basta!

Nun kennen wir dergleichen Diskussionen ja zur Genüge: Manche Hunde schwören Stein und Bein, sie möchten für immer bei uns bleiben. Hier geht es ihnen nicht schlecht, und sie haben Angst vor dem, was danach kommt. Normalerweise lassen sich diese Hunde dann aber gerne und rasch eines Besseren belehren. Wenn sie erst einmal die Vorzüge einer eigenen Familie kennengelernt haben, möchten sie für gewöhnlich um keinen Preis mehr zu uns zurück. Das haben wir schon oft erlebt: Wenn die neuen Besitzer nach Wochen oder Monaten mit unseren einstigen Schützlingen zu Besuch kommen, haben diese in der Regel panische Angst, sie müßten wieder bei uns bleiben. Die meisten weichen keinen Schritt vom Hoftor, um nur ja nicht den Zeitpunkt der Heimreise zu verpassen.
Wir waren sicher, daß es auch bei Doris so sein würde und gaben Sie Herrn und Frau S. mit, die versprachen, Geduld mit ihr zu haben und vor allem gut auf sie aufzupassen. Glücklich zogen sie also mit Doris von dannen.

Diese Idylle zerplatzte jäh, als am nächsten Morgen der Anruf kann: “Doris ist weg!” “Ja wie, was, wieso... wie konnte das passieren?” “Sie hat sich aus dem Fenster gestürzt”, war die verzagte Antwort. Dieses kleine Luder hatte in der Wohnung in Sendling zwölf Stunden lang den Platz unter der Küchenbank nicht verlassen, aber als zwei Zimmer weiter ein Fenster geöffnet wurde, war sie in einem unbeobachteten Moment hinüber geschlichen. Frau S. sah sie noch kurz auf der Fensterbank, bevor sie aus dem Hochparterre sprang. Daß Frau S. zusammen mit einer Nachbarin hinaus und hinter ihr her rannte, zeigte nur den zweifelhaften Erfolg, daß sie Doris immer weiter in Richtung Mittlerer Ring trieben.
Ich habe mir an diesem Tag die Füße platt gelaufen, kreuz und quer durch Sendling, rufend, lockend, flötend - nichts, Doris war verschwunden. Dann folgte eine Ochsentour: Inserate schalten, Radio-Durchsagen, Zettel aufhängen, Kliniken, Polizei anrufen; trotzdem - nichts, keine Spur von Doris. Die freundliche Frau Kosenbach der Tiervermißtenstelle des Tierschutzvereins München-Riem machte uns in den folgenden Tagen und Wochen immer wieder Hoffnung (die natürlich mit jedem Tag geringer wurde): Manche Tiere tauchen erst nach Monaten wieder auf, sie wird bestimmt gefunden - falls sie noch lebt...

Nach knapp drei Wochen dann endlich ein Anruf der Frau Kosenbach aus Riem: “Ich glaube, wir haben sie!” Der Tierschutzverein Dachau hatte - routinemäßig - dem Tierschutzverein München die neu zugegangenen Fundtiere gemeldet, und dabei war eine Hündin, auf die die Beschreibung von Doris paßte.
Die Fahrt nach Dachau war spannend: Ist sie’s oder ist sie’s nicht? Sie war’s. Was sie in den drei Wochen alles erlebt hat, wie sie die mehr als 20 Kilometer bewältigen konnte (bei dem Gedanken an die vielen Straßen und Autobahnen, die dabei zu überqueren waren, gruselt uns heute noch...), wohlbehalten und gut genährt, bleibt natürlich für immer ihr kleines Geheimnis. Vor Freude quietschend ist sie dort im Dachauer Tierheim an mir hochgelaufen. Ich hab sie eingepackt und nach Hause gebracht. Sollte sie halt bei uns bleiben, wenn es ihr so wichtig war.

Aber es kam doch anders: Familie Haake aus Landshut, die vor Jahren eine ebenfalls recht scheue Hündin von uns übernommen hatte, wollte Doris gerne dazu nehmen. Und diese Leute mochte sie. Nun - zugegeben - nicht sofort, aber bald. Jedenfalls ließ man ihr dort keine Gelegenheit, auf ihren dürren Beinchen - trotzig und alles besser wissend - in die weite Welt hinauszuziehen. Und siehe da, nach einer Woche schon war ihr klar: Bei den Haakes in Landshut ist es viel schöner als in Guntersdorf! (gh)

 

Doris, die alles besser weiß

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