Ein Nachruf.
Und ein Aufruf, sich ein wenig Zeit zu nehmen, um sich ein paar Gedanken zum Thema „2.- (oder 3., 4. &hellip
-Hand-Hund“ zu machen.
für
Paul, geb. im Dez. 2003, verst. im Jun. 2010
und für Zara, geb. 2000, verst. im Dez. 2007
Zara, dt. Dogge, ihr Alter, als sie zu uns kam, 5 Jahre, aus Käfighaltung, einem Züchter zwangsenteignet. Sie hatte am gesamten Kopf / Vorderbau unzählige kleine Narben. Lt. Tierärztin von Bisswunden. Und trotzdem. Zara war ein Schäfchen. Gabi nannte sie einmal Lichtgestalt. Sie hatte recht. Sie war eine „Grande Dame“.
Paul, dt. Dogge, schwere Schäden an den Hüften und der Wirbelsäule und manchmal leicht verwirrt. Das war in etwa Gabis Beschreibung über ihn. Sein Alter damals, als wir ihn holten: 2 Jahre, davon ca. 1,5 im Tierheim, davon ca. die letzten vier Monate bei Gabi. Die Schäden an der Wirbelsäule (eine Delle) waren entweder angeboren oder „angeschlagen“.
Zara. Sie wollte nicht mit. Gabi musste ins Auto klettern und sie locken und bitten. Sie sollte ihre erste Rettungsstation und vor allem Gabi verlassen! Sie hatte solche Angst. Sie sah zum Gotterbarmen aus. Klapperdürr. Die Schwanzspitze und die üblichen Stellen lädiert. Ein großes Häufchen Elend. In Ihrer Not, natürlich hatte sie vor Fahrtantritt kein Wasser mehr gelassen, machte sie dann auf dem doch recht langen Rückweg ins Auto. Und Gabi hatte uns extra gesagt: Nicht anhalten. Den Hund erst zu Hause aus dem Auto lassen! Ging dann nicht so ganz … Ihr neues Zuhause beäugte sie mehr als misstrauisch. Sie war draußen im Garten und nicht zu bewegen, ins Haus zu kommen. Gott sei dank fing es später an zu regnen und sie wählte das kleinere Übel. Die ersten Tage nahm sie nichts zu sich, trank noch nicht einmal. Wir lockten sie dann mit Quark. Das ging. Spaziergänge: Bei jeder unbekannten Kleinigkeit, und Zara war wirklich alles unbekannt, auch die Dinge, die wir noch nicht einmal mehr wahrnehmen, z. B. ein Gullydeckel, durch den man Wasser rauschen hört, eine Vogelscheuche auf dem Feld usw. usw., rannte sie fluchtartig „nach Hause“. Die ersten Tage allerdings immer zum Auto anstatt in den Garten. Ihr Geschäft macht sie wochenlang nur im Garten. Da fühlte sie sich sicher. Wir konnten mit ihr laufen, laufen, laufen, nichts. Kaum im Garten: endlich. Aber nie ins Haus. Sie brauchte lange, bis sie einigermaßen Vertrauen fasste, aber dann gewaltig. Ich war gar nicht so wichtig für sie. Aber ihr Herrchen. Ich habe noch bei keinem Hund ganz leuchtende, klare Herzchen im Blick erkennen können. Aber wenn Zara meinen Mann anguckte, dann flogen diese Herzchen nur so durch die Gegend. Da hatte ich keine Chance. Wenn er nicht da war, liebte sie natürlich auch mich; dann bekam ich auch ein oder zwei ab. Sie entwickelte sich in ihrer Zeit bei uns zur o. g. „Grande Dame“ und genoss ihr zweites Leben in vollen Zügen. Machte Bocksprünge auf dem Feld, fegte durch die Wiesen, holte Möhren aus dem Feld und zu Hause residierte sie auf ihrer Couch und unter ihren diversen Decken. Sie fror eigentlich immer. Ich habe auch noch keinen Hund gekannt, der sich auf seinem „Platz“ so wenig bewegte. Zara hatte allerdings trotzdem alles im Blick und wog immer sehr genau ab, ob es sich lohnte, aufzustehen oder nicht, oder ob man es sich nicht doch vielleicht lieber bringen lassen kann. Sie entwickelte mit der Zeit eben den ganz spezifischen Doggencharme und goß diesen eimerweise über uns aus.
Später kam dann Paul hinzu. Das krasse Gegenteil zu Zara, die niemals, obwohl sie aufgrund ihres Vorlebens allen Grund gehabt hätte, aggressiv geworden ist. Zara hatte für sich die Rückzugsmethode als Überlebensstrategie entwickelt. Paul hingegen: Angriff ist die beste Verteidigung bei Gefahr. Und wir lernten, dass für Paul vieles gefährlich erschien. Das erste Mal waren wir am 23.12. bei Gabi und es lief denkbar schlecht. Zara konnte Paul nicht wirklich leiden. Paul war die ganze Aufregung um ihn viel zu viel, so dass er zweimal nach meinem Mann schnappte. Wir fuhren dann in die Pension und mein Mann zeigte mir ganz klar einen Vogel und meinte: Auf keinen Fall! Er hatte ja auch eigentlich recht (grins). Also verabschiedeten wir uns morgens von Gabi und ich von Paul. Der, in seinem gewohnten Umfeld, war wie ausgewechselt. Trotzdem fuhren wir ohne Paul nach Hause. Es fiel mir schwer. Ich kann bis heute nicht sagen, warum es gerade Paul sein sollte. Es war Weihnachten und ich war traurig und ich quengelte und mein Mann ließ sich erweichen. Ein Telefonat nachts um 11 mit Gabi, um 2 ins Auto, dann am 26.12. morgens um 09.00 Uhr bei Gabi. Frühstück, Rückweg. Mit Paul, der tatsächlich an diesem Tag seinen 2. Geburtstag hatte. Er stieg wie selbstverständlich ins Auto, legte sich hin und schlief. Als gehöre er schon „seit immer“ zu uns. Zu Hause angekommen, zeigte Zara ihm einmal kurz mit einem Brummen: Meine Couch (die sie auch nicht verließ, sicher ist sicher!) und die Sache war geklärt. Paul zumindest liebte Zara und machte ihr ihre Couch nie streitig. Nur bei seinem Spielzeug war er etwas eigen. Die Couch: Zaras, Spielzeug: seins. Und zwar alles und immer (uns natürlich ausgenommen). Von seinem Einsteigen ins Auto an war er unser Hund, auch der meines Mannes. Wir konnten alles mit ihm machen. Nie wieder hat er nach meinem Mann geschnappt. Dafür aber nach genügend Besuch, der zu uns kam. Hände fuchteln, Arme schwenken, hektische Bewegungen, Unruhe, laute Stimmen, und Paul fühlte sich bedroht und reagierte entsprechend. Wir mussten ihn ständig im Auge behalten und arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und seine Verträglichkeit mit anderen Hunden ließ merkwürdigerweise auch vom ersten Tag an mehr als zu wünschen übrig, war eigentlich gar nicht vorhanden. Zara liebte er. Alles andere, egal ob Rüde, Hündin, Welpe: Feind. Bedrohung. Bis heute haben wir nicht begriffen, warum. Alles in allem hat er es uns nicht leicht gemacht und er hat uns gerade in der Anfangszeit, die sich doch recht lange hinzog und als uns viele Dinge ziemlich unverhofft getroffen haben, oft an unsere Grenzen und darüber hinaus gebracht. Aber gemeinsam haben wir es geschafft. Und mit gemeinsam meine ich gemeinsam. Zara, Paul, Ecky, Kerstin. Gerade Paul war für uns ein ganz besonderer Hund. Vielleicht gerade weil es so schwierig war. Seine Bindung an uns wurde noch intensiver, nachdem Zara gegangen war. Er war stets da und ist mit uns durch alle Höhen aber auch ein paar heftige Tiefen gegangen. Ein Freund, ein Kumpel, ein gestandener Spielkamerad, eine Schmusebacke, ein immer interessierter Zuhörer, ein Kasper, den Schalk im Nacken, ein Wahnsinnshund, der uns über alles liebte, alles für uns gegeben hätte, selbst sein Leben, davon bin ich fest überzeugt, der aufgrund der schweren HD ständig unter Schmerzen litt, die wir ihm durch Goldimplantate ein bisschen haben lindern können, der aber eigentlich schon von Welpenbeinen an kaputt war und das nicht nur vom Körper her. Kein Hund entwickelt solche Verhaltensweise, wenn er nicht muss.
Es fiel uns gerade bei Paul so schwer, ihn gehen lassen zu müssen. Aber um seinetwillen, um seiner Würde willen, um seiner Liebe zu uns willen war es gut und richtig so. Für ihn.
Erleben zu dürfen und wahrnehmen zu können, wie eine so geschundene Hundeseele und / oder ein lädierter Körper langsam, jeden Tag ein Microstückchen mehr heilt, Lebenswille, -freude und Vertrauen wachsen, Hund wieder Hund werden und bleiben darf, endlich zu Hause angekommen ist, ist eigentlich unbeschreiblich. Diese unsere Erfahrungen haben nichts mit denen gemein, die wir mit unserem ersten, komplett unvorbelasteten Hund machten und bei ihm auch nur das „ausbaden“ mussten, was wir selber verbockt haben. Auch nichts mit denen, die wir mit unserer ersten, „gebraucht“ übernommenen Hovavaart-Hündin erlebten, die - obwohl sie keine „schlechte“ Vergangenheit hatte, uns in tiefer Dankbarkeit und Liebe begleitet hat. Besuchten wir ihr altes Zuhause, war sie beim Abschied die erste, die am Auto stand. Ich kann und will nicht werten, es sind halt unsere Erfahrungen und Erlebnisse. Aber wir haben sie beim „2.-Hand-Hund“ als intensiver empfunden. Was bei dem einen völlig normal und selbstverständlich ist, sowohl für Hund als auch für Mensch, ist mit einem Mal nicht mehr normal und selbstverständlich. Sicher, wir haben uns „von Hund zu Hund gesteigert“, was die „Problemfälle“ angeht. Wir würdens wieder tun. Wenn etwas Zeit vergangen ist und es nicht mehr so weh tut. Und wenn unsere Zeit es zulässt, dem uns anvertrauten Tier gerecht zu werden. Zurzeit gehen wir beide wieder Vollzeit arbeiten und das artet zu oft in faule Kompromisse aus, die wir nicht eingehen möchten.
Wenn dort zwei Hunde sind, der eine jung, strahlend schön und „normal“ im Verhalten oder noch winzig und total niedlich, wie alle Babys, der andere älter, vielleicht schon müde, mit Blessuren oder Fehlern, krank oder verhaltensauffällig. Für welchen würden Sie sich entscheiden? Für die vermeintlich einfachere Variante? Weil er eine vermeintlich längere Lebenserwartung hat? Hören Sie sich um. Die Lebenserwartung variiert doch um Einiges. Bei einem Welpen / jungen Hund bekommen Sie keine Garantie für ein langes und gesundes Leben, bestenfalls ist die Wahrscheinlichkeit höher. Entscheiden Sie sich für „Kandidat 1“, weil Sie auf sein Verhalten von Anfang Einfluss nehmen und ihm Ihren Stempel aufdrücken können? Das ist sicher für viele ein Argument. Aber macht es nicht genauso - vielleicht sogar mehr - Freude und fordert es nicht auch, seine Zeit und Energie der zweiten Variante zukommen zu lassen? Wollen Sie noch kilometerlange Spaziergänge machen, Fahrrad fahren, joggen, Agyility lernen, oder vielleicht doch lieber von Anfang an geruhsam mit Ihrem Hund durch die Felder oder den Wald streifen? Sicher muss man sich darüber im Klaren sein, dass es bei „Kandidat 2“ in der Anfangszeit eher mal schwierig werden kann. Denn die Vor-Erfahrungen sind so oder so da, ob gute oder schlechte. Und manche sitzen sehr tief und prägen ein Leben lang. Und noch etwas, was sich nicht so schön anhört, aber ein Pro-alter-Hund-Argument sein kann: Lebensumstände ändern sich. Die Lebenserwartung eines bereits älteren Hundes ist begrenzt und Sie legen sich nicht für die nächsten 14 Jahre fest. Muss man sich nicht unabhängig von der späteren Entscheidung im Vorfeld fragen, was ich von meinem Zusammenleben mit Hund erwarte? Und was er (oder sie) erwartet? Manchmal ist sicher die Entscheidung für „Kandidat 1“ die richtige. Aber ich glaube, oft wären diese Menschen mit einem „Kandidat Nr. 2“ genauso glücklich geworden. Gerade der „Gebrauchthund“ oder „Problemhund“ erwartet eigentlich gar nichts mehr, nimmt aber jedes Quentchen Liebe und Zuneigung und Versorgtsein als Geschenk an und verschenkt alles, was er geben kann: sich.
In 20 Jahre teilten wir unser Leben mit insgesamt 4 Hunden. Jeder war für sich eine Bereicherung. Jeder von ihnen fehlt uns (immer noch) bei der einen oder anderen Gelegenheit. Ich weiß, sie gingen über den Regenbogen und drüben, auf einer grünen Wiese mit sich im Wind wiegenden Gänseblümchen unter dem großen schattigen Baum warten sie auf uns.