Als ich die Wohnung in einem Düsseldorfer “Glasscherbenviertel” betrat, saß sie vor mir: Eine Harlekindogge, fast unwirklich schön, makellos und ebenmäßig wie eine Statue. Sie saß da und knurrte mich an. Und dann kam der ganz große Knaller.... Aber vielleicht sollte ich die Geschichte doch lieber von Anfang an erzählen. Also: Familie T. in Düsseldorf, die eine psychisch völlig zerrüttete Dogge namens Annie ihr eigen nannte, bat uns um Hilfe. Sie hatten sich mit diesem Hund allmählich in eine Situation gebracht, wo sie nicht mehr ein noch aus wußten. Die Dogge, ein 2jähriges Mädchen, war so ängstlich, daß man mit ihr kaum noch die Wohnung verlassen konnte. Vor Passanten versuchte sie zu fliehen, wobei sie manchesmal Frau T. - samt Kinderwagen - beinahe auf die Straße gerissen hat. Herr T., der eigentliche Besitzer von Annie, schämte sich, mit ihr auf die Straße zu gehen, weil “die Leute schon gucken”; er ging mit ihr deshalb nur noch nachts aus der Wohnung. Offenbar war Annie ja nicht der einzige in dieser Familie, der Probleme hatte. Annie blieb auch nicht alleine. Einmal hatte sie - allein gelassen - die Glasfüllung der Wohnzimmertür zertrümmert und sich dabei auch noch verletzt. Zum Tierarzt mußte man mit ihr kilometerweit zu Fuß gehen, Annie stieg in kein Auto. Ganz abgesehen davon, daß die Leute gar kein Auto, ja nicht einmal einen Führerschein hatten. Da Herr T. arbeitslos war, war auch an einen Umzug in eine ruhigere Wohngegend oder an einen eigenen Garten nicht zu denken. Nach Monaten, unzähligen Telefonaten, Lösungsvorschlägen meinerseits, die angeblich alle nicht funktionierten, und Katastrophenberichten aus Düsseldorf war ich endlich weichgekocht: Ich sagte zu, nach Düsseldorf zu fahren und die Dogge selbst abzuholen. Das Ehepaar T. schien überglücklich. Als ich dann also nach einer 630-Kilometer-Fahrt diese recht trostlose Wohnung in Düsseldorf betrat, saß sie auf einem Handtuch in der Wohnzimmerecke - gleich hinter der zerschlagenen Glasscheibe - und knurrte mich verzweifelt an. Woher sollte sie denn auch wissen, daß man mich zu Hause “die Doggenmama” nannte und daß es für sie von hier aus wirklich nur noch bergauf gehen konnte? Und dann kam also der Knaller: Herr T. wollte den Hund nun doch lieber behalten. Er habe in der vergangenen Nacht wegen der bevorstehenden Trennung von seinem Hund derart schlimme Bauchschmerzen bekommen, daß er es sich in letzter Minute anders überlegt hatte. Nein, sie wollten mir den Hund nicht geben, basta. Ich blieb ruhig, bat Frau T., mich anzurufen, falls sie es sich anders überlegten, und machte mich auf den 630-Kilometer-Rückweg. Nadja Trassl, die mich auf dieser Fahrt begleitete, wunderte sich ein bißchen über meine Gelassenheit, eigentlich hatte sie - wenn schon nicht eine Hunde-Entführung - so doch wenigstens einen Wutausbruch erwartet. Den Kommentar meiner Schwester Lynn, als ich spät nachts ohne Annie nach Hause kam, erspare ich dem Leser. Ich sagte zu ihr nur: “Die werden wieder anrufen, weil sie mit dem Hund nicht klar kommen. Und dann hole ich Annie da raus.” Nach drei Monaten kam dieser Anruf und ich machte mich erneut auf den langen Weg nach Düsseldorf. Obwohl Annie sich schrecklich anstellte, als wir sie in mein Auto verfrachteten - mit Gewalt und der freundlichen Unterstützung eines Maulkorbs - und sie ganz furchtbar Angst vor mir hatte, die Fahrt muß die Hölle für sie gewesen sein, erwartete mich am nächsten Morgen in Guntersdorf eine große Überraschung: Wir nahmen Annie mit zum Spaziergang über die Felder, nach einem kurzen Test ließ ich sie von der Leine und da legte sie los. Sie rannte in wilden Kreisen um uns herum, stürzte, überschlug sich, rannte weiter bis sie schwer atmend und zitternd bei mir stehenblieb. Sie schien zu sagen: Hier ist es ja viel schöner als in dem ollen Düsseldorf! Ihr anschließendes Frühstück hat sie mit großem Appetit verdrückt. Annie hat sich in den folgenden Monaten fein herausgemacht. Sie wurde zwar kein mutiger, aber ein einigermaßen stabiler Hund, und sie war - wie sollte es anders sein - ein sehr anhänglicher und lieber Hund, “zauberhaft”, wie Doggen halt so sind. Und sie fand ein neues Zuhause, das beste, das ein Hund sich wünschen kann: Hans und Hortense, liebe Freunde von uns, wollten Annie zu sich nehmen. Annie hatte damit das ganz große Los gezogen. Da gab es für mich keine Ausreden mehr: ganz gleich, wie sehr ich mich in den vergangenen Monaten in Annie verliebt hatte, sie hatte das Recht auf diese Chance. An dem Tag, als ich sie wegbringen sollte, wachte ich morgens auf und hatte doch tatsächlich - Bauchschmerzen. (gh) |