Buffy
Den meisten Leuten gefällt es in
unserem „Tierheim“. Die Hunde machen einen zufriedenen Eindruck und
treiben mit Besuchern allerlei Schabernack.
Für Frau B. allerdings war der Besuch
bei uns der Anfang vom Ende; ein tödlicher Plan nahm in ihrem Kopf
endgültig Gestalt an, als sie das fröhliche Hausrudel sah.
Schon beim ersten Anruf der Frau B. schrillten irgendwo ganz hinten in
meinem Kopf die Alarmglocken. Sie wolle ihre 11jährige Beagle-Hündin
Buffy bei uns abgeben, könne aber nicht sagen, warum; und es müsse
exakt der letzte Tag dieses Monats sein. Nun ja, am darauffolgenden 31.
kam Frau B. mit dem Zug, im Gepäck ihre Hündin, deren Körbchen nebst
diversen Habseligkeiten wie Futter, Bürste, Shampoo, Decke, Kissen,
Impfpaß. Lynn fand im Gespräch schnell heraus, daß da wirklich etwas
ganz und gar nicht stimmte. Frau B. erzählte von Problemen, sie habe
einfach die Nase voll von diesem elenden Leben....
Lynn hat lange auf Frau B. eingeredet, ihr diverse Möglichkeiten
vorgeschlagen, Angebote gemacht, daß Frau B. zum Beispiel für’s
erste bei uns bleiben und bei der Arbeit mit den Hunden helfen könne.
Frau B. schlug alles aus, sie wolle keine Almosen, sondern ihr Recht,
und das kriege sie seit sieben Jahren schon nicht. Sprach’s,
verabschiedete sich von ihrer Buffy und ging davon.
Lynn hatte keine andere Wahl: Sie informierte die Polizei; Frau B. wurde
wegen Selbstmordgefahr umgehend in ein Nervenkrankenhaus eingewiesen.
Nach einem Monat, in dem Frau B. mehrmals bei uns angerufen hatte, um
sich nach der Hündin zu erkundigen und uns ihr Leid zu klagen, dass man
sie „ins Narrenhaus gesperrt“ habe, wurde sie entlassen. Gleich am
nächsten Tag kam sie, um ihre Hündin nach Hause zu holen. Erstaunlich
indes war, dass Buffy davon wenig begeistert war, sondern eigentlich
lieber bei uns bleiben wollte. Der Moment, in dem die Kleine zögerte,
ehe sie sich ein bisschen widerspenstig an der Leine hinausführen
ließ, war wohl der entscheidende in dieser ganzen Geschichte.
In den folgenden Wochen aber schien
alles in Ordnung. Zwischenzeitlich hatten wir auch erfahren, dass Frau
B. seit sieben Jahren ihre Umgebung einschließlich einem amtlich
bestellten Betreuer mit mehr oder weniger versteckten
Selbstmordandeutungen in Atem hielt; eigentlich nahm man das alles gar
nicht mehr ernst. Sie war eben - erklärte man uns - psychisch krank,
ihre Probleme, die Ungerechtigkeiten, gegen die sie seit Jahren Sturm
lief, bestünden nur in ihrem Kopf. Deshalb waren wir auch nicht weiter
beunruhigt, als Frau B. sich wieder einmal hier meldete, um sich
bestätigen zu lassen, daß wir ihre Buffy zu uns nehmen würden, sollte
ihr etwas zustoßen. Noch in derselben Nacht hat Frau B. sich das Leben
genommen. Die Nachbarin fand einen Zettel, auf dem sie gebeten wurde,
uns mitzuteilen, es sei soweit, wir möchten jetzt die Hündin abholen.
Als ich hinkam, saß Buffy stumm in ihrem Körbchen, daneben ein zweiter
Korb, in dem wieder ihre Habseligkeiten sorgfältig eingepackt waren:
Futter, Bürste, Shampoo, Decke, Kissen, Impfpaß.
Hätten wir wissen müssen, dass es
wirklich nur noch die Sorge um den Hund war, die Frau B. am Leben
gehalten hatte? Hätten wir oder irgend jemand ihr helfen können? Wir
haben bis heute keine Antworten gefunden.
Wir können nur hoffen, dass diese kranke Seele nun endlich ihren
Frieden gefunden hat. Und noch eins können wir: gut für die kleine
Buffy sorgen, so wie wir es versprochen haben.
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