Wer Doggen nicht als respekteinflößende
Angeberhunde kennt, sondern so, wie sie in der Mehrzahl wirklich sind,
nämlich freundliche, anlehnungs- und schutzbedürftige Sensibelchen, der
weiß: Für Doggen gibt es mehrere Gründe zu zittern: Kälte, Angst,
Unsicherheit, Aufregung oder Freude. Cody beispielsweise zitterte, wenn
ich ihn in den Arm nahm – vor Glück. Hier ist seine Geschichte.
Zugegeben, als ich das erstemal von ihm
hörte, war ich durchaus beunruhigt, hatte doch der bisherige Eigentümer
– Besitzer einer Großmetzgerei, nebenberuflich Jäger und Hundezüchter
(!) –
uns geraten, einen Maulkorb mitzubringen, wenn wir ihn holen wollten.
„Er ist nicht ganz ungefährlich, dominant und schwierig mit Fremden“,
war die Warnung dieses Mannes, der den nun achtjährigen Doggenrüden seit
fünf Jahren in seinem Zwinger gehalten hatte. Cody hatte diese
spartanische Unterkunft geteilt mit einem Doggenmädchen, ihre
gemeinsamen Kinder wurden von dem Züchter regelmäßig verscherbelt. Als
dem Mann jedoch in den Sinn kam, dass man mit der „Produktion“ von
Deutschen Schäferhunden vielleicht noch mehr Kohle machen könnte,
beschloss er kurzerhand umzusatteln. Also musste er das Doggenpärchen loswerden, klarer Fall.
Für die überaus sanfte sechsjährige Zuchthündin fand sich rasch eine
Abnehmerin, sie wurde von einer Doggenfreundin abgeholt. Allein in
seinem trostlosen Zwinger zurückgeblieben, begann der Rüde zu klagen; er
weinte und heulte vor allem nachts, was dem Züchter wiederum arg auf die
Nerven ging, und er beschloss, den Hund „weg zu tun“, im Klartext: zu
erschießen.
An dieser Stelle wurden wir eingeschaltet, und zwar von jener Frau, die
Wochen zuvor die zugehörige Hündin übernommen hatte. Sie bat um Hilfe
für Cody, riet uns aber gleichzeitig dringend, uns bei der
Kontaktaufnahme mit dem Züchter als „Interessenten“ auszugeben, auf
keinen Fall als Tierschützer „sonst bekommt ihr den Hund nicht, lieber
erschießt er ihn – er hat was gegen Tierschutz“ Nun ja, ist ja auch
verständlich, aus seiner Sicht jedenfalls. Wir erzählten
dem Mann also, was immer er hören wollte, und vereinbarten einen
kurzfristigen Termin, den Doggenrüden bei ihm abzuholen – damit er nur
ja nicht Zeit hätte, es sich nochmals anders zu überlegen.
In der Regel erledige ich solche Aufgaben selber, konnte aber just an
diesem Tag nicht weg, weil unsere alte Buffy schwer krank geworden war
und nicht allein bleiben sollte; andererseits wollten wir aus
verständlichen Gründen die Abholung von Cody keinesfalls verschieben.
Andrea und Alois, zwei Leute mit einschlägiger Großhunderfahrung,
sprangen kurzfristig ein und zogen also los, versehen mit einem
ausreichend großen Maulkorb und meinen Warnungen, dass dem Vernehmen
nach dieser Hund schwierig sei, sie sollten bloß nichts riskieren.
Zurück brachten sie einen wunderschönen Doggenrüden mit den Insignien
der Altersweisheit: Silberfäden im pechschwarzen Fell, ergraute Maske
und schlohweiße Augenbrauen. Er hatte zwar keinen Impfpass mit („Den hab
ich schon ein paar Jahre nicht mehr impfen lassen...“ Tja, Hundezüchter
müssen hart kalkulieren!), wohl aber sein Bettchen: einen dünnen
gewebten Baumwollfetzen, weder warm noch weich, der keine, aber auch gar
keine Ähnlichkeit mit einem Sofa aufwies. Großzügig hatte der Züchter
dieses Stück Stoff dem Cody „zur Erinnerung“ mitgegeben. Da ich indes
sicher war, dass dieser Hund sich nicht wirklich gern an diesen Mann und
an seine Zeit im Zwinger würde erinnern wollen, erlaubte ich mir, den
Lumpen anderer Verwertung zuzuführen.
Was war das nun für ein Hund, dieser Cody?
Zuerst mal hatte er natürlich Probleme, das, was mit ihm eben geschah,
in seinem Kopf geordnet zu kriegen. Er traute sich bei uns nicht ins Haus rein;
wenn er dann drin war, traute er sich nicht mehr raus. Er ging ganz
ordentlich an der Leine; wenn man ihn allerdings losließ, ließ er sich
nicht mehr anfassen, kam nicht näher als auf drei Armlängen heran. Es
war dann nicht einfach, ihn auf dem Grundstück wieder einzufangen. Am
ersten Abend war er besonders hartnäckig, spielte Fangen mit uns, wich
zurück, wich immer wieder aus, versteckte sich hinterm Busch, abwartend,
von welcher Seite ich kommen würde, um dann nach der anderen Seite
abzuhauen. Wir versuchten, ihn einzukreisen; schon allein deshalb ein
hoffnungsloses Unterfangen, weil wir, Lynn und ich, nur zu zweit waren. Wenn wir ihm
gar zu arg zusetzten, knurrte es im Dunkeln – aber das war keine
Drohung, sondern hieß „Wieso könnt ihr zwei hartnäckigen Weiber mich
nicht endlich in Ruhe lassen?!“
Später in der Nacht machte sich bei Lynn und mir Ratlosigkeit breit, wie
wir seiner wieder habhaft werden sollten, wir wollten ihn auf keinen
Fall bis zum Morgen unbeaufsichtigt draußen lassen. Ohne recht
brauchbare Strategie stellten wir ihm weiter kreuz und quer übers
Grundstück nach. Wer unseren ziemlich großen Garten kennt, weiß, dass
das nicht wirklich zielführend sein konnte, aber etwas Besseres fiel uns
nicht ein.
Dann aber hatten wir Glück: Als Cody gerade wieder mal zwischen unseren
ausgestreckten Armen durchgeprescht war, hielt er es wohl für eine prima
Idee, durch das geöffnete Türchen in den kleinen Gemüsegarten zu
entwischen. Drinnen merkte er aber schnell, dass das ein Fehler gewesen
war, weil es hier für ihn kaum mehr Ausweichmöglichkeiten gab. Er drehte
sich also um, wollte gleich wieder raus, aber da waren wir schon an der
Tür und versperrten ihm den Rückweg. Ratlos knurrend wich er
in die Dunkelheit zurück.
Wir sind nicht blöd, die Lynn und ich: In dem Moment war uns durchaus
klar, dass es von nicht unerheblicher Bedeutung war, ob wir sein Knurren
auch wirklich zutreffend interpretierten. Würde er "seinen Worten Taten
folgen lassen" oder nicht? Wir kamen zu dem Schluss, er würde nicht.
Lynn bewachte den Ausgang. Ich ging auf ihn zu, hockte mich auf halbem
Weg auf den Boden, brabbelte - den Blick abgewandt - beschwichtigend vor mich hin, streckte ihm die Hand entgegen. Ob Cody
nun meinen freundlichen Worten glaubte oder nur keine bessere Idee
hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls kam er auf mich zu, ganz langsam,
Schritt für Schritt, gerade so weit, dass meine Fingerspitzen an sein
Gesicht reichten. Und da, bei der ersten Berührung fiel es ihm wie
Schuppen von den Augen: „Das sind nette Mädels, die wollen mir ja gar
nix tun!“ Problemlos ließ er sich anleinen und ging mit uns ins Haus.
Von da an machte er erstaunlich schnelle
Fortschritte, verlor nicht nur die Scheu vor uns, sondern auch gegenüber
Fremden. Er begrüßte Besucher offen und freundlich, war nicht die Spur
dominant, schwierig oder gar aggressiv. Sein Umgang mit Kindern war
gelassen, mit Katzen vorsichtig und der mit anderen Hunden korrekt – bis
auf einmal, aber das war erst später.
Das Leben in dieser Form, wie er es bisher nicht gekannt hatte, fand er
super toll. Zum Vorschein kamen sie alle, die bei Doggen so geschätzten
Eigenschaften: Er war anhänglich und loyal, gehorchte auf kleinste
Zeichen, Spaziergänge mit ihm waren die reine Freude, er verlor nie den
Blickkontakt und war doch übermütig und rannte ausgelassen um mich rum.
Selbst beim Tierarzt war er – trotz der bei Hunden so beliebten
Panikattacken – mühelos zu handhaben, vertraute mir sogar dann noch, als
er auf einen Tisch gewuchtet, sein Brustkorb mit Gel bestrichen und sein
Herz ultraschalluntersucht wurde.
Cody ist ein prima Hund geworden. Dafür dass wir ihm das Leben gerettet
hatten, bemühte er sich, alles richtig zu machen. Wenn ich mit ihm
redete, saß er vor mir, aufmerksam, um nur ja keines meiner Worte zu
verpassen. Seine Blicke waren dabei so offen und anrührend liebevoll,
dass ich ihn oft einfach in den Arm nehmen und drücken musste, und da
spürte ich ihn jedes Mal zittern vor Glück.
Ich richtete mich ganz gut mit dem Gedanken ein, dass eine achtjährige
Dogge bei der bekannt niedrigen Lebenserwartung dieser Rasse ja
vielleicht gar nicht mehr zu vermitteln wäre. Von mir aus konnte er
gerne bleiben – von Coba aus allerdings nicht. Für jene, die ihn nicht
kennen: Coba ist der amtierende Hausherr in Guntersdorf mit sehr feinem
Gespür für Konkurrenz. Seine Sympathie für Cody blieb weit hinter meiner
zurück.
Eines abends, als ich noch am Computer arbeitete, kam Coba aus dem
Garten und ins Büro gestürmt, um mir „irgendwas Wichtiges zu erzählen“.
Cody lag wie immer hinter meinem Sessel und versperrte Coba den Weg, und
dann ging alles ganz schnell. Die auf beiden Seiten aufgestaute
Eifersucht entlud sich in einer lautstarken Rauferei. Die zwei
Kontrahenten wogen zusammen bestimmt 140 Kilo, dies bei einer
Grundfläche des Büros von 9 Quadratmetern (abzüglich Regale,
Schreibtisch und Sofa). Glücklicherweise ließen sie sich bereitwillig
trennen, jeder insgeheim froh, dass sie diese Keilerei nicht wirklich zu
Ende bringen mussten.
Es war fortan nicht ganz einfach, die beiden Jungs davon zu überzeugen,
dass sie Waffenstillstand halten mussten.
Aber das Leben hielt für Cody noch eine
große Überraschung bereit. Eine Familie aus Mönchengladbach war
auf der Suche nach einer Dogge, etwas ruhiger sollte sie schon sein, da
sie Kinder und Katzen hätten, aber wenig Hundeerfahrung. Sie kamen also
zu Viert zu uns, blieben hier über Nacht, und so hatte Cody Gelegenheit,
ihnen zu zeigen, dass er genau der Richtige für sie wäre. Sie nahmen ihn
mit und haben es nie bereut.
(geschrieben im
November 2003/gh)
Und hier noch einige spätere Fotos von
Cody. Mit Familie im Urlaub in Dänemark:
Cody mit 10 Jahren:
Cody mit 12:
Und hier Auszug einer Mail seiner Familie
vom 18. Mai 2008, als Cody fast 13 ist: