Die struppige Hexe Doris
Wir hatten das kleine Terrier-Mix-Mädchen Doris von einem Hilfsgütertransport aus Serbien mitgebracht, nicht ahnend, daß ihr Wesen ebenso widerspenstig war wie ihre struppigen, drahtigen Haare. Doch zuerst hatten wir von
ihrer kratzbürstigen Seite noch keine Ahnung. Schmusig, lieb,
anhänglich und spaßig, wie sie war, hatten wir viel Freude an ihr und
nahmen auch ihre Scheu vor Fremden gar nicht so ernst. “Das wird schon”,
pflegt man in solchen Situationen zu tönen. Nun kennen wir dergleichen
Diskussionen ja zur Genüge: Manche Hunde schwören Stein und Bein, sie
möchten für immer bei uns bleiben. Hier geht es ihnen nicht schlecht,
und sie haben Angst vor dem, was danach kommt. Normalerweise lassen sich
diese Hunde dann aber gerne und rasch eines Besseren belehren. Wenn sie
erst einmal die Vorzüge einer eigenen Familie kennengelernt haben,
möchten sie für gewöhnlich um keinen Preis mehr zu uns zurück. Das
haben wir schon oft erlebt: Wenn die neuen Besitzer nach Wochen oder
Monaten mit unseren einstigen Schützlingen zu Besuch kommen, haben
diese in der Regel panische Angst, sie müßten wieder bei uns bleiben.
Die meisten weichen keinen Schritt vom Hoftor, um nur ja nicht den
Zeitpunkt der Heimreise zu verpassen. Diese Idylle zerplatzte jäh,
als am nächsten Morgen der Anruf kann: “Doris ist weg!” “Ja wie,
was, wieso... wie konnte das passieren?” “Sie hat sich aus dem
Fenster gestürzt”, war die verzagte Antwort. Dieses kleine Luder
hatte in der Wohnung in Sendling zwölf Stunden lang den Platz unter der
Küchenbank nicht verlassen, aber als zwei Zimmer weiter ein Fenster
geöffnet wurde, war sie in einem unbeobachteten Moment hinüber
geschlichen. Frau S. sah sie noch kurz auf der Fensterbank, bevor sie
aus dem Hochparterre sprang. Daß Frau S. zusammen mit einer Nachbarin
hinaus und hinter ihr her rannte, zeigte nur den zweifelhaften Erfolg,
daß sie Doris immer weiter in Richtung Mittlerer Ring trieben. Nach knapp drei Wochen dann
endlich ein Anruf der Frau Kosenbach aus Riem: “Ich glaube, wir haben
sie!” Der Tierschutzverein Dachau hatte - routinemäßig - dem
Tierschutzverein München die neu zugegangenen Fundtiere gemeldet, und
dabei war eine Hündin, auf die die Beschreibung von Doris paßte. Aber es kam doch anders: Familie Haake aus Landshut, die vor Jahren eine ebenfalls recht scheue Hündin von uns übernommen hatte, wollte Doris gerne dazu nehmen. Und diese Leute mochte sie. Nun - zugegeben - nicht sofort, aber bald. Jedenfalls ließ man ihr dort keine Gelegenheit, auf ihren dürren Beinchen - trotzig und alles besser wissend - in die weite Welt hinauszuziehen. Und siehe da, nach einer Woche schon war ihr klar: Bei den Haakes in Landshut ist es viel schöner als in Guntersdorf! (gh)
Doris, die alles besser weiß |