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Die Götter eilten zu ihr, verneigten sich und beschenkten sie.
Vom Todesgott erhielt sie ein Seil, von Vayu, dem Windgott, Pfeil und Bogen,
Pinakadhrik gab ihr einen Dreizack, Krishna gab ihr den Diskus,
Indra den Donnerkeil und seinen weißen Elefanten,
Varuna, der Meeresgott, gab ihr ein Muschelhorn,
der Herr der Wasser gab ihr eine Schlinge.
Versehen mit diesen Waffen schlug sie die Dämonenheere in die Flucht.

Kali

„Mann oh Mann, was hab ich denn jetzt wieder angestellt!“ Betreten rief ich gleich zu Hause an: „Hallo Lynn... ich bin grad von Nürnberg weggefahren... ja, ich hab sie dabei... ich glaub, wir kriegen Ärger, aber richtigen, diesmal... es tut mir leid... nein, für eine Dogge ist der Kopf ein bißchen zu breit... in zwei Stunden bin ich daheim, dann wirst du’s ja selber sehen...“
Das, was mir als „ältere schwarze Dogge, weiblich“ angekündigt worden war, saß nun auf der Rückbank meines Autos, abwartend ans Fenster gelehnt; ich spürte ihre Blicke im Nacken, versuchte ruckartige, weil vielleicht mißverständliche Bewegungen zu vermeiden. Obwohl ich durch eine laue Augustnacht fuhr, fröstelte ich ein bißchen.

Zu Hause angekommen, ging’s auch gleich zur Sache. Die Hündin auf der Rückbank erklärte mir mit einem einzigen Blick aus tiefschwarzen Augen: „Mag sein, daß du Wurm hier zu Hause bist, ich bin es jedenfalls nicht, und ich werde aus diesem Auto auch nicht aussteigen. Punkt.“ Ein nachgeschobenes tiefes Grollen ließ mich die nach ihrem Halsband ausgestreckte Hand denn auch umgehend zurückziehen. Ich konterte: „Nein! Aus!!“, wobei meine Stimme allerdings viel zu dünn und der Situation in keiner Weise angemessen klang.
Die Hündin konnte gleich nochmal ordentlich punkten, als ich den nächsten Versuch startete mit einer Wiener Wurst, die ich wie ein weißes Fähnchen hoch hielt und mit der ich - alle hundepsychologischen Grundsätze missachtend - ihr vorheriges Knurren auch noch lecker belohnte. Die Wurst wurde also hoheitsvoll angenommen. Ich holte tief Luft und zog ihr - sehr langsam und sehr vorsichtig - eine Leine als Schlaufe über den Kopf. Lynn: „Das tät ich nicht...“, stand hinter mir, bereit mir zu Hilfe zu eilen, falls ich welche bräuchte. Was im übrigen wenig genutzt hätte: Diese Hündin hätte es locker mit Fünfen von unserer Sorte aufgenommen.
Sie stieg schließlich aus dem Auto und ließ sich auf den Hof führen. Ohne weiter Zeit zu verlieren, begann ich gleich mit vertrauensbildenden Maßnahmen: Strich ihr über Kopf und Nacken, sprach mit freundlicher Stimme: „Alles o.k., Mädel, siehst du, ist gar nicht so schlimm. Ich tu dir doch nix.“ Was aber eigentlich gar nicht das Thema war.

Am nächsten Morgen schickten wir uns an, das Sozialverhalten dieser doggengroßen Hündin zu testen. Normalerweise lassen wir in strategisch wohlüberlegter Reihenfolge - die diplomatischen zuerst - unsere Hunde einzeln auf Neuankömmlinge los, diese müssen eine gründliche Examinierung durchstehen, werden neugierig umringt, beschnuppert, mit einem angedeuteten Schwanzwackeln auf Kommunikationsfähigkeit getestet.
Nicht so an diesem Tag. Die Neue stand mitten auf dem Innenhof, breitbeinig abwartend, ein schwarzglänzender Monolith. Die Hunde stürmten einzeln raus und auf sie zu - drehten aber auf halbem Weg ab. Der eine schaute dann ganz angestrengt zum nächsten Baumwipfel hoch, der nächste tat, als hätte er die Rosenstöcke vorm Haus noch nie zuvor gesehen, wieder ein anderer untersuchte gründlich ein gänzlich unbeteiligtes Grasbüschel, und zwar jeden Halm einzeln. Sie alle taten, als würden sie die Neue schon längst kennen, überflüssig also, sie mit Schnuppern oder sonstwie zu belästigen.
Ohne viel Aufhebens gingen wir dann alle zusammen ins Wohnzimmer, wo die Neue unverzüglich ihre Hausordnung verkündete. „§ 1: Ich bin die Rudel-Chefin. § 2: Um die Küche zu betreten, brauchen Hunde meine persönliche Erlaubnis. § 3: Zuwiderhandlungen werden geahndet. Inkrafttreten sofort.“
Rasch fanden wir für die Hündin den passenden Namen: Kali. Nach der gefürch­teten indischen Göttin, die ihren Liebhabern die Eingeweide herausreißt und am Gürtel deren abgeschlagene Köpfe baumeln hat.

Das alles mag jetzt recht locker und witzig anmuten; damals allerdings war uns alles andere als zum Lachen. Wir waren ratlos und wussten nicht, was aus uns, unseren Hunden und vor allem aus dieser Kali werden sollte. Aber klein beigeben, ist auch nicht so unser Ding.
Aus Angst um die Hunde, vor allem die Mädels, die ja vielleicht doch mal Widerworte geben würden, verpassten wir Kali einen Maulkorb, den sie tragen sollte, bis wir eine bessere Lösung gefunden hätten. Spannend war die erste Anprobe: Würde sie sich dieses geflochtene Lederding auf die Nase setzen lassen? Schließlich hätten wir nicht den Hauch einer Chance, solches gegen ihren Willen zu tun. Ich holte also wiederum tief Luft... Kein Problem indes, großzügig ließ sie mich gewähren.
Überhaupt kam Kali besser mit uns zurecht, als wir mit ihr. Schnell hatte sie gemerkt, dass es nicht das schlechteste Los war, Hund in Guntersdorf zu sein, trotzdem sie diverse Sicherheitsvorkehrungen über sich ergehen lassen musste: Sie durfte nur mit Maulkorb ins Rudel, wurde grundsätzlich alleine und hinter verschlossenen Türen gefüttert, und wenn wir nicht zu Hause waren, wurde sie weggesperrt. Wir brauchten Wochen, bis wir diese Hündin einschätzen lernten, bis wir merkten, dass sie weder aggressiv, noch blutrünstiges Monster war, sondern nur ein Hund, wenn auch ein ganz außergewöhnlicher.

Aber irgendwann hatten wir es kapiert, und es kam der Tag, als wir den zerschlissenen Maulkorb entsorgten - Kali würde ihn nicht mehr brauchen - und die zwei jungen Frauen in Berlin anriefen, um ihnen für diesen Hund zu danken. Auf unsere Zusage hin, die „ältere schwarze Dogge“ aufzunehmen, hatten die beiden sie damals aus dem Tierheim in Brandenburg freigekauft und ihr damit das Leben gerettet, weil bereits zwei Wochen abgelaufen waren von der Vier-Wochen-Galgenfrist, die der Tierheimleiter dort ihr eingeräumt hatte, schließlich war sie - bei ihrem Alter, ihrer Größe und überhaupt - wohl zu Recht als unvermittelbar eingestuft worden.
Als Handicap für eine Adoption hatte diese Hündin außer politisch nicht ganz korrekten Wangenknochen auch noch kaputte Beine. Vielleicht durch eine Wachstumsstörung oder Überbeanspruchung in jungen Jahren waren die Vorderbeine verkrüppelt, die Ellbogen nach außen und damit die gesamte Statik verdreht, so schlimm, dass auch Rücken und Hüften, kurz der gesamte Bewegungsapparat arg angeschlagen waren. Das gesamte Ärzte-Team einer renommierten Tierklinik versammelte sich in dem dunklen Kämmerchen vor der hell erleuchteten Glasscheibe und bestaunte Kalis Röntgenaufnahmen, die Medizinerstirnen in Falten gelegt: Sie hatten diese diversen Gelenkschäden zwar schon mal gesehen, aber niemals alle zusammen bei einem einzigen Hund. Sie nahmen daraufhin eine Goldakupunktur vor, machten mir aber wenig Hoffnung, Kalis Lebenserwartung betreffend; wir sollten doch beizeiten anfangen, über Euthanasie nachzudenken. Kali allerdings war davon wenig beeindruckt. Versehen mit nagelneuen Golddrähtchen, verließ sie mit mir die Klinik, humpelnd zwar, aber entschlossen, unbeirrt weiter ihrer Wege zu gehen.
Und Lynn, Lisa und ich, wir dankten den Göttern, dass dieser Weg auch der unsere war, wenigstens für eine Weile.

Daß wir niemanden finden könnten, diese Hündin zu übernehmen, war uns von Anfang an klar, und das war gut so. Auch Kali hat niemals versucht, mit Besuchern anzubandeln, sie war nicht der Typ Hund, der um Aufmerksamkeit oder gar Liebe bettelt. Wenn Fremde kamen, lag sie souverän auf dem Sofa und beobachtete; sie tat keinem was, ließ die Leute aber auch keinen Moment aus den Augen. Klar, daß Kali sich in Guntersdorf wohl fühlte, hatte sie doch hier einen ihr angemessenen Wirkungskreis gefunden. Sie stand einem Hunderudel vor, das immer so zwischen 10 und 16 Köpfe zählte. Keiner von denen hinterfragte jemals ihre Machtposition - nun, das stimmt nicht ganz, eine einzige Ausnahme gab es: Eine selbstbewußte Junghündin, die wohl der Teufel geritten hat, gab Widerworte. Wir mussten uns höllisch beeilen, dazwischen zu gehen.
Kali war rund um die Uhr im Dienst, sie sah und hörte alles, ging jedem Hinweis nach, wenn es Anzeichen für Unbotmäßigkeiten im Rudel gab; und ihr Auftauchen - humpelnd und mit strengem Blick sah sie dabei aus wie Hexe und Inquisitor in einer Person - genügte, um die Ordnung sofort wieder herzustellen. Als es einmal nicht so war, demonstrierte sie klar und deutlich, was sie konkret mit „Zuwiderhandlungen werden geahndet“ gemeint hatte: Zwei Rüden, Milo und Rudi, denen eine kleine pubertierende Junghündin den Kopf verdreht hatte, waren sich draußen im Garten in die Haare geraten, keiner wollte nachgeben. Ich - am Telefon - bekam es nicht schnell genug mit; als ich dann rausrannte, hatte Kali bereits eingegriffen, der Streit war beigelegt. Erst als sich das Tohuwabohu gelegt hatte, entdeckten wir in Milos Hinterbein ein Loch von der Größe einer Männerfaust. Etwaige Zweifel, ob es wirklich Kali war, die ihm diese Verletzung zugefügt hatte, waren schnell ausgeräumt: unsere „forensische Untersuchung“ des Zahnabdrucks in Milos Kittel ergab eindeutig, dass es nur Kalis Gebiß gewesen sein konnte - welches von Rudis zartem Windhundschnäuzchen klar zu unterscheiden war. Sie hat den Milo wohl einfach an einem Bein rückwärts aus dem Kampfgetümmel gezogen. Als Chefin, die für das Wohl und Wehe des Rudels verantwortlich war, hatte sie unumstößliche Prinzipien, die Umgangsformen betreffend; sie konnte vor allem Raufereien nicht angehen lassen, also tat sie, was getan werden mußte. Wenn es fortan Meinungsverschiedenheiten gab, beeilten wir uns deshalb, vor ihr zur Stelle zu sein; großzügig ließ sie uns den Vortritt, beobachtete lediglich, ob wir die Situation auch tatsächlich im Griff hatten.
Die hohe Schule des Chef-Seins, Kali zeigte uns, wie’s geht: in sich ruhend, selbstsicher gelassen, im Bewusstsein der eigenen Stärke, konsequent, unbestechlich und furchtlos; das waren Autorität und Dominanz vom Feinsten. Nie zuvor hatten wir ein Wesen von solch unbeugsamer innerer Kraft getroffen.


Kali

Kalis Aufgabe war es auch, das Rudel nach außen abzusichern. Trotz ihrer angeschlagenen Beine lief sie bei Spaziergängen stets ganz vorne. Einmal kam ein Hofhund aus dem Nachbardorf des Weges. Ein junger, ungestümer Schäfer-Mix, dem es zu Hause stinklangweilig war, konnte seinen Augen kaum trauen, als er uns und etwa acht oder neun Hunde den Bach entlang trotten sah. Er stürmte den Hang herunter, hielt inne, traute sich aber nicht, herüber zu springen, rannte hin und her, hampelte rum und machte den Affen drüben auf der anderen Seite des Grabens. Unser Rudel ereiferte sich, schließlich war das unser Weg und unser Bach und überhaupt. Bellend und
ebenfalls rumhampelnd rieten sie ihm dringend, auf seiner Seite zu bleiben. Damit sich das Ganze nicht unnötig hochschaukelte, gingen wir zügig weiter, er würde dann schon wieder nach Hause gehen. Das wollte er aber nicht, wer geht schon heim, wenn endlich mal was geboten ist. Da wir nicht so recht wußten, wie wir ihn abschütteln sollten, griff Kali ein. Sie ließ uns und das Rudel weiterziehen, blieb am Bach stehen, breitbeinig, den Kopf gesenkt, und fixierte ihn, regungslos. Wir haben ihren Blick nicht gesehen, wohl aber die Reaktion ihres Kontrahenten. Mit einem erschrockenen Winseln, angelegten Ohren und eingeklemmtem Schwanz drehte er ab, raste wie von Teufeln gehetzt den Hang hoch und verschwand in einer Staubwolke, schnurstracks nach Hause. Kali wandte sich wortlos ab, stapfte auf ihren krummen Beinen hinter dem Rudel her, um sich wieder an dessen Spitze zu setzen. Was für ein Weib! Wen wunderts, dass wir ihr übernatürliche Kräfte zuschrieben und sie schlicht für eine Hexe hielten?
Sie konnte auch Coba niederstarren, unseren Doggenrüden, der sich dann flach vor ihr auf den Boden legte, manchmal dazu auch noch winselte - und dabei war dieser Bursche jung, gesund und kräftig und wog gut und gern 20 Kilo mehr als das alte Mädchen. Lynn hat es mal so formuliert: „Kali kann andere mit ihrem Blick verdampfen.“
Nie werde ich das Blitzen in ihren schwarzen Augen vergessen, wenn ich mit ihr Faxen machte und sie in spielerischer Abwehr tat, als wollte sie mich in die Nase beißen - das mächtige Gebiß, das dabei nur Zentimeter vor meinem Gesicht zuklappte, allerdings auch nicht. Ebenso wenig je vergessen werde ich, wie dieses ausgebuffte Luder einem beim Spielen und Scherzen manchmal mit der Zunge über die Kehle fuhr, was nichts anderes hieß als: „Schau mal, Mädel, jetzt würdest du aber alt aussehn, wenn ich nicht deine gute Freundin wär!“ Stimmt - wenn ich nur daran denke, wie mühelos sie Tennisbälle in der Mitte durchbiß oder dass sie getrocknete Schweineohren aß wie andere Hunde Butterbrote.

Aber Kali war auch anders; oft erzählten ihre Augen von der Weisheit einer starken Hündin und den Geheimnissen in den Tiefen ihrer Seele, waren wissend, nachsichtig, warm und freundlich. Sie liebte uns zärtlich und übersah großzügig, dass wir lausige, inkonsequente Rudelchefs abgaben. Manchmal auch fing ich ihren Blick auf, der sagte: „Ich weiß, was ihr für mich getan habt - und ihr werdet es nicht bereuen.“ Stimmt!
Kalis Geburtstag, also der Jahrestag ihrer Ankunft in Guntersdorf, wurde natürlich groß gefeiert: mit gekochtem Reh und allem Pipapo. Als Geschenk bekam sie den größten Knochen - parma-geräuchert -, den wir je einem Hund zugemutet hatten.

Im Frühjahr darauf war eine Reise an die Nordsee geplant, und wir freuten uns, weil Kali diesmal dabei sein würde. Wochen vorher schon erzählten wir ihr davon - und beschworen sie durchzuhalten; es war nämlich nicht mehr zu übersehen, dass ihre Kräfte allmählich nachließen. Nun mußte sie sich oft damit begnügen, mit strengen Blicken vom Sofa aus zu regieren. Nur mit Mühe hielt sie sich beim Spazierengehen an der Spitze des Rudels - wollte andererseits aber auf keinen Fall zu Hause bleiben, wenn ihre Meute raus auf die Felder zog.
Die Reisevorbereitungen liefen auf Hochtouren, wieder und wieder ermunterten wir sie: „Du mußt durchhalten, Kali (oder Kalamata, Kalinka, Kalimera, Kali-Spätzelchen und was wir an Kosenamen sonst noch für sie hatten), du warst sicher noch nie im Leben in Urlaub, es wird dir bestimmt gefallen!“


Kali im Nachthemd

Aber es half nicht mehr. Ihre Kräfte waren verbraucht. Plötzlich wurde sie schwer krank, verfiel innerhalb einer halben Woche. Sie starb genau vier Tage vor der Abreise.
Wir konnten uns des Gefühls nicht erwehren, daß Kali sich so schnell verabschiedet hatte, weil sie spürte, daß sie diese Reise nicht mehr durchgestanden hätte, es vielleicht uns und den Hunden auch nicht vermasseln wollte.

Aber irgendwie war sie dann doch dabei, fuhr in unseren Herzen mit. Wir haben am Nordseestrand eine Muschelschale gefunden, groß, derb und tiefschwarz. „Die nehmen wir für Kali mit und legen sie ihr aufs Grab!“ Ich nahm die Muschel und ging ans Wasser. Just in dem Moment, als ich mich bückte, um sie abzuspülen, kam eine listige Welle daher, ein bißchen höher und kräftiger als die anderen. Und diese Welle klatschte mir an die Beine, das Nordseewasser ergoß sich gurgelnd in meine Gummistiefel. Typisch Kali!

Ich schaute in den weiten Himmel über der Nordsee, ob ich nicht irgendwo da oben auf einer Wolke einen Hund sehe, einen großen, schwarzen, auf krummen Beinen, mit breitem Kopf und blitzenden Augen, wild und unbezähmbar. Eine Hexe in Hundsgestalt - unsere Kali.

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