Die Mutter des Wunders: Ixie Das alles überstrahlende Ereignis des Jahres 2001, das Wunder von Guntersdorf, das, womit wir noch unsere Enkelkinder tierisch nerven würden, wenn wir denn jemals welche hätten, also das Größte schlechthin, begann - wie das meiste im Leben - mit dem Klingeln des Telefons. Tanja Z., die als Touristin auf Teneriffa
leichtsinnig - oder mutig? - genug war, ein spanisches Tierheim zu
besuchen, rief recht aufgelöst an. Sie habe dort viele Tiere,
hauptsächlich Hunde, gesehen, die sie am liebsten alle einpacken und
mit nach Hause nehmen möchte. Aber einer habe es ihr ganz besonders
angetan; schon gar nicht dürfe sie sich ausmalen, welches Schicksal
diesem großen Hund drohe, dort in dem spanischen Tierheim: Wer uns
kennt, hat jetzt natürlich schon einen ganz bestimmten Verdacht.
Richtig. Eine Dogge wars, die Tanja so aus der Fassung gebracht hatte,
ein großes schwarzes Mädchen, jung noch und dazu bildschön. Als diese große schwarze Hündin am Nachmittag eines Sonntags im August Guntersdorfer Boden betrat, gab es noch keinerlei Hinweise, daß es uns diesmal endgültig aus der Kurve tragen würde, daß unser wenigstens ansatzweise geordnetes Leben explosionsartig auseinanderfliegen sollte - dergestalt, daß wir noch nach Monaten die Trümmer aufsammeln, mühsam und nur ganz allmählich wieder Kontrolle erlangen würden. Es begann also in der ersten Nacht, fing harmlos an,
gewann aber rasch an Dramatik. Erbrechen, Durchfall, Tierklinik,
Infusionen, Ultraschall, Bluttests, stationäre Aufnahme, am nächsten
Tag wieder zurück nach Guntersdorf, weil die Dogge sich den
Venenkatheter in der ersten Nacht gleich dreimal rausgezogen hatte. Recht schnell freundeten wir uns mit ihr an, nicht zuletzt weil wir Stunden bei ihr saßen und ihr Zecken aus dem Fell zogen - bei 120 hörten wir auf zu zählen. Dieser Rekord war ihr schon mal sicher. Ixie wollte und wollte nicht essen, verfiel zusehends, der Kreislauf war instabil, die Blutwerte wurden von Mal zu Mal schlechter. In der Klinik war man auch ein wenig ratlos, erklärte mir, man „schwimme ein bißchen“, weil sich offenbar mehrere Krankheiten überlagerten, die Symptome kaum mehr zu differenzieren seien. Bald entgleisten die Blutwerte völlig, schon munkelte man was von Blutkrebs und Knochenmarkspunktion; zwar stellte man dann verschiedene Dinge fest - Giardienbefall, Ehrlichiose -, was aber kaum für einen so katastrophalen Zustand verantwortlich sein konnte. Still und verbissen kämpften wir um das Leben dieser Hündin. Dabei war sie anrührend vertrauensselig. Vom ersten Tag an ging sie mit mir, egal wohin, selbst in die Tierklinik - ohne Leine. Viel Zeit verbrachten wir miteinander, die Ixie und ich, wen wunderts, daß ich sie ins Herz geschlossen hab, diese Tapfere, die kaum aus der Ruhe zu bringen war, solange ich nur in der Nähe blieb. Ixie ist ein Hund, der eine extrem enge, fast symbiotische Beziehung zu einem Menschen braucht. Es war in der dritten Nacht, als ich ihre Schritte zu meiner verschlossenen Schlafzimmertür kommen hörte. Ich verhielt mich erstmal ruhig und hoffte, sie würde auf ihren Platz im Wohnzimmer zurückkehren. Nach ein paar Minuten schlich ich hin, um nachzusehen: Sie lag vor der Tür, zusammengerollt auf dem blanken Steinboden. Ich brachte sie zurück ins Wohnzimmer: „Schau mal her, hast so ein schönes Platzerl, da auf der Couch... Schlaf gut, Mädel.“ Ich strich ihr nochmal über den Kopf und ging ins Bett. Keine zwei Minuten, dann hörte ich sie wieder rüberkommen. Sie kratzte nicht an der Tür, winselte nicht - lautlos legte sie sich auf den Steinboden; sie wollte nur ein bißchen näher bei mir sein. Glücklicherweise war direkt neben meinem Bett noch Platz für eine dicke, weiche Matratze..... Seinen - vorläufigen - Höhepunkt fand diese ganze
Sache am zehnten Tag: In der Klinik, nochmal Ultraschall, Ixie lag auf
dem Tisch, der Raum verdunkelt, alle schauten auf den Monitor: „Du
liebe Güte - die ist ja auch noch trächtig.“ „Kann man dagegen
noch was machen?“ So mein schwacher Versuch, das Schicksal nochmal
herumzureißen. Ein Abbruch kam aber nicht in Frage. „Sie würde eine
Operation nicht überstehen“, winkte der Tierarzt ab. Im übrigen sei
es ohnehin möglich, daß die Babies mißgebildet seien wegen der
Unmenge an Medikamenten, die die werdende Mutter geschluckt habe - dann
müßten sie sowieso gleich nach der Geburt... ja, getötet werden. Irgendeine der Arzneien schien dann auch mal ins Schwarze getroffen zu haben. Zögerlich aber immerhin, fing Ixie an zu essen. Wie’s einer Schwangeren gebührt, hatte sie recht sprunghafte, ganz und gar unvorhersehbare Gelüste. Was sie den einen Tag gerne mochte, konnten wir uns oft schon am nächsten Tag in die Haare schmieren - „Nein, danke, nicht schon wieder Seelachs mit Reis!“ Womit man noch am ehesten bei ihr landen konnte, waren Butter- und Käsesemmeln. Kann man mit Buttersemmeln schmieren ins Buch der Rekorde kommen? Wir schmierten die Dinger in affenartiger Hektik, auf jedes Stück noch schnell einen Klecks Astronautenpaste, um Ixie mit Kalorien abzufüllen, bevor ihr Appetit wieder verflogen war. Ich seh mich noch heute, eines samstags kurz vor Ladenschluß aus dem Supermarkt stolpern. Links eine Armladung Butter, unterm Kinn drei Packungen fetten Brie, rechts baumelte an jedem Finger ein Netz mit zehn Semmeln und - just in case - unter beide Arme noch je eine Stange Toastbrot geklemmt... Aber was Ixie zu sich nahm, beanspruchten ihre Kinder für sich; der Bauch wurde größer und größer. Und dann kam der Tag, an dem man die Kleinen strampeln fühlen konnte. Vielleicht wird ja doch alles gut?! Etwa zur gleichen Zeit aber hatte ihr Blutbild katastophale Werte angenommen: über 30.000 Leukos und ein Hämoglobinwert, der befürchten ließ, Ixie könnte bei der Geburt verbluten. Alles drehte sich nur noch um dieses kommende Ereignis: Hebammen Crashkurs, wir wälzten Bücher und löcherten mit unseren Fragen alle möglichen Leute, von denen wir annahmen, sie hätten von der Sache mehr Ahnung als wir, also so ziemlich alle. Vor allem Lisa war mit den Vorbereitungen recht gewissenhaft - Gott sei Dank, wie sich später herausstellen sollte. An dieser Stelle ist es mal an der Zeit, dem restlichen Rudel ein dickes Lob auszusprechen. Mit viel Geduld und Vernunft haben sie diese Wochen tapfer durchgestanden. Und obwohl sie kreuzunglücklich waren, weil sich alles nur um „diese Neue“ drehte, haben sie uns nicht noch weiter unter Druck gesetzt, sondern einfach still gelitten. Da Ixie nicht, wie die Bücher es beschreiben, einige Stunden vor der Geburt angefangen hatte zu hecheln, hatten wir keine Chance: Lynn war auf dem Hundeplatz und ich stand im Stau. Nur Lisa hatte so ein Gefühl gehabt, war unruhig geworden und vorzeitig vom Büro weggefahren. Sie war bei Ixie, als es losging. Aber Lisa war natürlich ein bißchen überrumpelt und stemmte sich verbissen gegen das Chaos, das mit aller Gewalt losbrach, als die Hündin das erste Baby zur Welt brachte. Bis ich endlich kam, lagen schon drei kleine Würmer in der Wurfkiste. Es war die längste Nacht unseres Lebens: Diese
geschwächte Hündin brachte in 15 Stunden 13 Babies zur Welt. Vier
davon waren tot, erstickt, weil Ixie für die Wehen keine Kraft mehr
hatte. Einige der anderen wollten zuerst auch nicht leben, wurden von
Marion K aber so lange gerubbelt, geschüttelt und geklopft - notfalls
wurde ihnen auch noch ein Tropfen Brandy verpaßt -, bis sie nach Luft
schnappten. Und soweit wir das beurteilen konnten, waren alle gesund,
hatten gerade Glieder und ganz normale Köpfe. Von wegen mißgebildet,
das waren eindeutig die schönsten Hundekinder, die wir je gesehen
hatten. In der ersten Nacht nach der Geburt hatte Ixie den
nächsten großen Einbruch: über 40 Grad Fieber; und angesichts der
Laborwerte sagte der Tierarzt lapidar zur Helferin: „Mach das bitte
nochmal, das kann ja wohl nicht stimmen!“ Es stimmte aber doch. Und
sie wollte wieder nicht essen. Was nun vor uns lag, waren Wochen und Monate schier unverschämten Glücks. Die Tatsache, daß Ixie sich als rechte Rabenmutter entpuppte, viel lieber mit mir auf der Wohnzimmercouch sitzen wollte, als bei ihren Kindern, auch nachts versuchte, mit in mein Zimmer zu schlüpfen, statt in der Babystube zu bleiben, brachte uns „Omas“ in eine ausgesprochen vorteilhafte Position. Obwohl in dieser Hinsicht völlig unbeschlagen,
mauserten wir uns zu perfekten Säuglingsschwestern, hantierten mit
Fläschchen, Schnuller, Milchpulver, Babywaage, Gewichtstabellen, als
hätten wir nie was anderes getan. Ixie war’s zufrieden, sie hatte
für die Kleinen ja wohl mehr als genug getan, jetzt sollten ruhig die
anderen mal ran. Sie machte sich nur noch ein bißchen wichtig, putzte
die schönen Kinder, ließ sie auch mal trinken, solange ich dabei saß.
Wenn ich aber rausging, stand sie sofort auf, kümmerte sich kein
bißchen um die Puppies , die noch an den Zitzen hingen und abstürzten
- einer nach dem anderen; wenn sie eilig zur Tür wollte, trat sie auch
noch drauf, daß sie nur so quietschten. Ixie ist eine jener modernen
jungen Frauen, denen bewußt ist, daß sie auch nur ein Leben haben:
Kinder? Warum nicht, solange sie meiner Karriere nicht schaden... Für das Saubermachen haben wir regelmäßig „Gebühren“ erhoben, die jeweils eines der Kleinen - quasi als Gesamtschuldner für alle Geschwister - bezahlen mußte: Baby wurde auf den Arm genommen und erbarmungslos abgeknutscht.
Corleone beim Bezahlen der Rechnung Wir waren gespannt, wie Ixie reagieren würde, wenn wir ihre kleine Bande im Alter von vier Wochen dem Hausrudel vorstellen würden. Nun, sie hatte gar nichts dagegen, je mehr es waren, die sich um die Puppies kümmerten, um so weniger mußte sie selber tun. Und da waren einige Tanten, die sich liebend gerne als Gouvernanten, mehr oder weniger strenge, zur Verfügung stellten. Als Ixie zu ihrer neuen Familie zog, waren noch drei ihrer Kinder bei uns, mittlerweile zehn Wochen alt. Nun, die Babies haben gar nicht bemerkt, daß ihre Mami sie verlassen hatte. Daran kann man ganz gut erkennen, was für eine grottenschlechte Mutter sie war. Aber als Hund ist sie schwer in Ordnung. Und da, wo sie jetzt ist, weiß man das auch zu schätzen... (gh)
|