Die Nordsee
Es mag durchaus sein,
dass sich der tiefere Sinn der folgenden Geschichte
nur jenen unmittelbar erschließt, die die Fernsehserie „Enterprise“
wenigstens hin und wieder gesehen haben.
Die Nordsee, unendliche Weiten. Wir
schreiben das Jahr 2002. Dies sind die Abenteuer der Wattenmeer-Fähre
„Friesland“, die mit ihrer 7 Mann starken Besatzung 14 Tage lang
unterwegs ist, um neue Inseln zu erforschen, neues Leben und neue
Zivilisationen. Viele Kilometer von Guntersdorf entfernt, dringt die
Besatzung in Dünenlandschaften vor, die nie zuvor ein Mensch gesehen
hat.
Eintrag ins Logbuch der „Friesland“: „Sternzeit 20. April 2002,
16.30. Die „Friesland“ hat vor zwei Stunden das holländische
Festland verlassen. In wenigen Augenblicken wird die westfriesische
Insel Terschelling von Captain Coba und seiner sechsköpfigen Mannschaft
geentert werden. Der Auftrag lautet, intelligentes Leben zu finden sowie
die Insel und deren Nahrungsgrundlagen zu erforschen.“
Fünf Frauen und ein Mann, Sarah,
Elfie, Kunigunde, Lynn, Gabi und Milo bildeten den Trupp, der nun an
Land ging unter Captain Cobas Kommando. Was nicht ganz stimmt: Kommandos
hat Captain Coba
überhaupt keine gegeben, seit die Fähre in See gestochen ist, weil er
nämlich während der zweistündigen Überfahrt die Kapitänshosen
gestrichen voll hatte. Er hörte erst auf zu zittern und zu hecheln, als
er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Dann aber machte sich die Crew sofort auf, das unbekannte Eiland zu
durchqueren, um ihre Kommandozentrale an der Westküste in Besitz zu
nehmen: Nicht schlecht, was sie dort vorfanden. Dieses geräumige Haus
in den Dünen war der perfekte Ausgangspunkt für die geplanten
Expeditionen. Während die rangniedrigeren Crewmitglieder auspackten und
das Haus bewohnbar machten, rannten die vierbeinigen Dienstgrade schon
draußen rum, um das Terrain zu sichten. Captain Coba ließ sich nur mit
Mühe überzeugen, daß er den 30 Kilometer langen nord-westlichen
Dünengürtel nicht schon am ersten Abend zur Gänze erforschen konnte;
er war kaum zu bändigen. Als wir, also fünf Hunde und zwei Menschen,
in der Dämmerung zusammen auf den Dünenkamm hinterm Haus kraxelten,
gab sich der Blick frei auf die Nordsee, die uns tobend willkommen
hieß.
Es folgten 13 Tage Dünen, Sand, Meer, Sonne, Regen und ein für
niederbayerische Reisende ungewohnt kräftiger, vor allem hartnäckiger
Wind. Der fegte uns Sand in die Augen, peitschte die Wellen um die Waden
und riß Lynn und Gabi - die stets bestrebt waren, die Hundemeute
zusammenzuhalten - die besorgten Rufe von den Lippen, trug sie ungehört
davon.
Im stürmischen Westwind kreuzend fegte Sarah über den Sand,
Strandsegler und Möwen vor sich her treibend, so schnell, daß der Wind
sich bei der Ehre gepackt fühlte und selber noch mal kräftig zulegte.
Oft fürchteten wir, Sarah würde Flügel ausklappen und mit den Möwen
gen England am Horizont verschwinden. Während sie also am Wasser für
Ordnung sorgte - der alte Milo wild kläffend und in sich rasch
vergrößerndem Abstand hinter ihr her -, hat Elfie sich von Zeit zu
Zeit in den Dünen verlaufen. Sie rannte dann immer schneller, pflügte
durch das sie überragende Dünengras, um uns einzuholen - aber leider
in der falschen Richtung. Lynn dann wiederum hinter Elfie her, was in
Gummistiefeln auf steilen Sandwegen recht anstrengend war.
Kunigunde frönte derweil ihrer Kneippkur, ließ sich von der Gischt um
die zarten Pfötchen den Kreislauf ankurbeln und schnupperte an
angeschwemmten blauen Quallen und hübsch gemusterten Muschelschalen.
Nebenbei suchte sie den Horizont nach der nächsten Imbißbude ab.
Der glücklichste von allen aber war
Captain Coba. Diese erste große Reise seines Lebens hielt er
offensichtlich für einen Umzug, dachte, wir könnten für immer in dem
Haus in den Dünen bleiben, Lynn und Gabi müßten nie wieder arbeiten
gehen; man sah ihn nur lachend, von einem Ohr bis zum anderen.
Coba liebte es, wenn der Wind an ihm zerrte, ihm in die Nase und die
Lefzen fuhr und die pfannkuchengroßen Ohren zu schwarzen Windbeuteln
aufblies. Er mühte sich, die Insel für uns in Besitz zu nehmen,
markierte und scharrte aus Leibeskräften, fegte von einem Dünenkamm
zum nächsten, um von ganz oben „seine“ Insel zu kontrollieren -
bald schon nannten wir ihn den „Gouverneur von Terschelling“. Als er
allerdings die Dünen-Kaninchen zu Partisanen erklärte, die er
unerbittlich verfolgen müsse, schritten wir ein. Auch als er sich
einmal spät nachts noch in die Dunkelheit davonmachte - in dringenden
„Regierungsgeschäften“ - und erst nach Mitternacht zurückkam, gab’s
für den Herrn Gouverneur den bei allem Verständnis unvermeidlichen
Anschiß.
Coba, der Gouverneur von Terschelling
Tagsüber verbrachte er viel Zeit mit
dem Aufspüren von Nahrungsquellen, vor allem am Strand. Er testete
alles, was die Nordsee so an Land gespuckt hatte. Er biß Muscheln auf,
um zu sehen, ob er mit deren Inhalt wohl sich und seine Mannschaft
würde auf Dauer ernähren können, versuchte es auch mit Quallen -
einmal. Am besten in Cobas Tests schnitt eine Spezies ab, von der wir
leider nicht wissen, wie sie heißt, nicht mal, zu welcher Gattung sie
gehört: Zu Lebzeiten wohl gallertartige, ovale Meeresbewohner, lagen
sie nun platt am Strand, auch in ausgetrocknetem Zustand noch ziemlich
durchsichtig. Wir nannten sie „Glibbertiere“. Coba nahm sie mit
spitzen Zähnen auf, schüttelte sie, nicht um sie zu töten, tot waren
sie schon lange, sondern um den Sand abzumachen, kaute zwei- dreimal
kräftig drauf - sie schienen zäh -, und beim Hinunterschlucken spähte
er schon nach dem nächsten. Noch Stunden später konnten wir den Sand
zwischen seinen Zähnen knirschen hören.
Der Rest der Meute teilte Cobas Leidenschaft für Glibbertiere
allerdings nicht; sie warteten lieber, bis wir zum nächsten
Pommes-Stand kamen. Auch Milchprodukte waren sehr bliebt: Offenbar
holländischer Standard, gab es im Laden des Dorfes Joghurts und
Puddings in wahrlich allen erdenklichen Geschmacksrichtungen, und zwar
im 1-Liter-Tetrapack. Die absoluten Renner waren „Sahne Joghurt
Vanille“ und „Karamel-Sahnepudding“.
Als am Abend des 13. Tages Lynn und
Gabi anfingen die Koffer zu packen, wusste die Meute gleich, was das zu
bedeuten hatte: Wir würden also doch nicht für immer in dem Haus in
den Dünen bleiben können. Schade mal.
Eintrag ins Logbuch der „Friesland“:
„Sternzeit 4. Mai 2002, 7.00. Captain Coba und seine Mannschaft kehren
an Bord zurück, die Fähre legt ab und nimmt Kurs auf das holländische
Festland. Die „Mission Terschelling“ konnte erfolgreich
abgeschlossen werden. Jede einzelne Düne wurde erforscht und markiert.
Mit den Bewohnern - Möwen, Strandseglern, Kaninchen und Verkäuferinnen
im Dorfladen - konnte man sich hinreichend verständigen. Die
Nahrungsgrundlagen der Insel sind mit Pommes frites, Sahnejoghurt,
Pudding und Glibbertieren als für künftige Besuche durchaus
ausreichend zu bewerten. Die Insel darf auf keinen Fall den Klingonen in
die Hände fallen.“
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