Text aus: Jim Willis, "Die leise
Stimme der Seele", ISBN 3-905319-33-0,
© Copyright 2006 ComArt, Weggis, Schweiz
Wie konntest Du
nur....?
Als ich noch ein Welpe war, unterhielt
ich Dich mit meinen Mätzchen und brachte Dich zum Lachen. Du nanntest
mich „Dein Kind“ und trotz einer Anzahl von gekauten Schuhen und einigen
Sofakissen, die ich „ermordete“, wurde ich Dein bester Freund.
Wann immer ich ungezogen war, zeigtest Du mir mahnend den Zeigefinger
und sagtest: „Wie konntest Du?“ – aber dann hattest Du Dich sofort
erweichen lassen und rolltest mich zur Seite, um meinen Bauch zu
kraulen.
Meine Aufenthalte in der Wohnung wurden während Deines Studiums immer
länger, aber ich riss mich zusammen. Ich erinnere mich an jene Nächte ,
als ich mich an Dich im Bett ganz nahe anschmiegte und Dir zuhörte, wie
Du im Schlaf gesprochen hattest und ich glaubte, dass das Leben nicht
vollkommener sein könnte.
Wir gingen in den Park, um dort lange spazieren zu gehen oder
herumzutollen, wir fuhren mit dem Auto irgendwohin, kauften uns ein Eis
(ich erhielt nur den Rest der Waffel mit ein wenig Eis, weil, „zuviel
Eiscreme ist für Hunde nicht gesund“, sagtest Du), und ich hielt im
Sonnenstrahl, der durch die Balkontüre ins Wohnzimmer hinein schien, ein
langes Schläfchen und wartete so, bis Du von der Arbeit nach Hause
kamst.
Allmählich verbrachtes Du mehr Zeit auf der Arbeit als zu Hause mit mir
um Karriere zu machen. Auch verbrachtest Du nun sehr viel Zeit damit, um
einen „menschlichen Partner“ finden zu können. Ich wartete immer
geduldig auf Dich, tröstete Dich bei Liebeskummer und auch Deinen
Enttäuschungen und freute mich ebenso mit Dir, als Du
Erfolg bei einer Frau hattest. Sie ist jetzt Deine Ehefrau, ist kein
„Hundeliebhaber“, aber trotzdem begrüsste ich sie in unserem Heim,
respektierte sie und zeigte ihr, dass ich sie mag. Ich war glücklich,
weil Du glücklich warst!
Dann kam die Zeit, in der Babys zur Welt kamen. Ich teilte die Aufregung
mit Dir. Ich war von der glatten Haut und vom Geruch des Babys
fasziniert, so dass auch ich sie bemuttern wollte. Aber Du und Deine
Frau dachten nur daran, dass ich den Kindern schaden und sie verletzen
könnte.
Daher musste ich die meiste Zeit nun verbannt in einem anderen Raum
verbringen. Oh, wie ich sie lieben wollte, aber es war mir vergönnt,
denn ich war ein „Gefangener der Liebe“. Während sie anfingen zu
wachsen, wurde ich ihr Freund. Sie zogen an meinem Fell, griffen auf
wackeligen Beinen nach mir, stiessen ihre Finger in meine Augen,
forschten an meinen Ohren und gaben mir Küsse auf die Schnauze.
Ich liebte alles an ihnen, besonders ihre Berührungen, weil Deine so
selten wurden. Ich war soweit, dass ich die Kinder notfalls mit meinem
Leben verteidigen würde. Ich war soweit, in ihre Betten zu schleichen,
um ihren Sorgen und geheimsten Träume zuzuhören. Zusammen mit ihnen das
Motorengeräusch Deines Autos zu erwarten, während Du in die Einfahrt
fuhrst.
Vor langer Zeit, als man Dich fragte, ob Du ein Haustier hättest, zogst
Du aus Deiner Brieftasche ein Foto von mir und erzähltest mit vollem
Stolz über mich. Die letzten Jahre antwortest Du nur noch mit „Ja“ und
wechseltest das Thema. Ich war früher „Dein Hund“ und bin heute „nur ein
Hund“!
Dann hattest Du eine neue Karrieregelegenheit in einer anderen Stadt,
und Du und Deine Familie zogen in eine Wohnung, in der Haustiere nicht
erlaubt waren. Du hattest für Dich und Deine Familie die richtige
Entscheidung zu finden, obwohl es einmal eine Zeit gab, in der ich Deine
Familie war. Mann oh Mann, hatte die Autofahrt Spass gemacht, bis ich
bemerkte, wo wir angekommen waren.
Es roch nach Hunden und Katzen, nach Furcht, aber auch nach
Hoffnungslosigkeit. Du fülltest Papiere aus und sagtest, dass Du wissen
würdest, dass man ein gutes Heim für mich finden würde. Die beiden Damen
hinter der Theke zuckten mit den Achseln und zeigten Dir einen
geschmerzten Blick. Sie verstanden die Wirklichkeit, der ein Hund
mittleren Alters gegenüberstand, ja sogar ein Hund „mit Papieren“.
Du hattest die Finger Deines Sohnes von meinem Halsband lösen müssen,
während er weinend schrie „Nein Papa, bitte lass mir meinen Hund nicht
wegnehmen“! Ich wunderte mich in diesem Moment nur, wie Du ihm gerade
Lektionen über Freundschaft und Loyalität, über Liebe und Verantwortung
beibringen konntest. Zum Abschied gabst Du mir einen Klaps auf den Kopf,
vermiedest dabei, mir in die Augen zu schauen und lehntest höflich ab,
mein Halsband und meine Leine mitzunehmen. Du hattest einen Termin
einzuhalten, nun habe ich auch einen!
Kurz nachdem Du gegangen warst, sagten die zwei netten Damen, dass Du
vermutlich Monate voraus vom Umzug wusstest und somit auch eine
Möglichkeit vorhanden gewesen sein musste, einen „guten Platz“ für mich
zu finden. Sie schüttelten ihre Köpfe und fragten sich … „Wie konntest
Du nur… ?“
Die beiden netten Damen widmeten uns ihre ganze Aufmerksamkeit, wann
immer es ihre Zeit zuliess. Sie fütterten uns täglich und ausreichend,
aber ich verlor meinen Appetit bereits vor Tagen. Anfangs, wann immer
jemand an meinem Gehege vorbei ging, hetzte ich zur Frontseite und
hoffte, dass Du es bist, dass Du Deine Meinung geändert hättest und dass
alles nur ein böser Traum war, oder ich hoffte, dass es zumindest jemand
sein würde, der mich mögen könnte, der mich retten würde.
Aber die Wahrheit war, dass ich es nicht mit den liebenswerten,
tollpatschigen Welpen aufnehmen konnte. Weltvergessen in meinem eigenen
Schicksal zog ich mich in einer weichen Ecke zurück und wartete ab.
Eines Tages, es war am Nachmittag, hörte ich Schritte. Man holte mich
ab, ich ging über einen langen Korridor, bis ich an dessen Ende einen
Raum betrat. Es war ein seliger, ruhiger Raum. Die Frau platzierte mich
auf einen Tisch, kraulte meine Ohren und erklärte mir, dass ich mich
nicht zu sorgen hätte. Mein Herz schlug in voller Erwartung auf das, was
da kommen sollte.
Gleichzeitig hatte ich ein Gefühl der Entlastung. Mir, dem „Gefangenen
der Liebe“, gingen die Tage aus. Gemäss meiner Natur war ich mehr um die
nette Dame besorgt, als um mich selbst. Ich erkannte, dass sie eine
Belastung trägt, die tonnenschwer sein musste. Sie platzierte leicht
einen Aderlass um mein Vorderbein, während eine Träne ihre Wange
hinunterkullerte. Ich leckte ihre Hand in der gleichen Art und Weise,
wie ich es bereits Jahre vorher tat, um Dich zu trösten.
Sie schob sachverständig die hypodermatische Nadel in meine Vene.
Nachdem in den Einstich und den Eintritt der kühlenden Flüssigkeit in
meinen Körper verspürte, lehnte ich mich schläfrig zurück, schaute dabei
in ihre freundlichen Augen und murmelte: „Wie konntest Du nur… ?“
Möglicherweise verstand sie meine Hundesprache, denn sie sagte, „Es tut
mir leid!“ Sie umarmte mich hastig und erklärte, dass es ihr Job sei,
mir einen besseren Platz zu verschaffen, wo ich nicht ignoriert,
missbraucht oder verlassen würde. Einen Platz, an dem ich mich nicht
verstecken müsse, einen Platz der Liebe und des Lichts, der so anders
sei als auf Erden.
Mit meinem letzten bißchen Energie wedelte ich mit meinem Schwanz und
versuchte ihr so zu sagen, dass mein „Wie konntest Du nur… ?“ nicht
gegen sie gerichtet war. Ich dachte an Dich, mein geliebtes Herrchen.
Ich werde immer an Dich denken und auf Dich warten. Möge jeder Dir in
Deinem Leben immer diese Loyalität zeigen.
Text aus: Jim Willis, "Die leise Stimme der
Seele", ISBN 3-905319-33-0,
© Copyright 2006 ComArt, Weggis, Schweiz
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