Wie die Doggen-Mama von Niederbayern
zu den Doggen kam -
oder - das Problem der unerledigten Handlung
Ich bin nur die Doggen-Tante, also die Schwester der Doggen-Mama Gabi -, aber ich war bei jedem Schritt, der aus einer Hundefreundin eine Doggen-Mama machte, zugegen. Und ich möchte darüber erzählen. Begonnen hat alles Mitte der
70er Jahre, Doggen-Mama und Doggen-Tante durchlebten gerade ihre “Sturm
und Drang Zeit”. Wir weilten gerade wieder einmal in Südfrankreich
zwecks Sommer, Sonne, Strand und wußten nicht, daß dieser Urlaub unser
Leben dereinst so entscheidend verändern sollte. Es begab sich
nämlich, daß Gabi, als sie sich einem der gigantisch großen
Supermärkte in Südfrankreich näherte um einzukaufen, sich plötzlich
einem Wesen gegenüber sah, das in ihren Augen schöner und
beeindruckender nicht sein konnte: ein stattlicher schwarzer
Doggen-Rüde wartete vor dem Supermarkt auf die Rückkehr seines “Anhangs”. Im nächsten Jahr setzte das Schicksal dann aber noch eins drauf, nur um ganz sicher zu gehen, daß Gabi sich aus dieser Sache nicht herauswinden konnte: wieder weilten wir in Frankreich, diesmal aber in Paris. Auf unseren täglichen Streifzügen über den Montmartre kamen wir an einem kleinen Tabak-Geschäft vorbei, dessen Mitinhaber ein - raten Sie mal - ja, Doggen-Rüde war. Diesmal war er nicht weniger groß und schön. Er lag in der Sonne vor dem Geschäft und musterte aufmerksam jeden Passanten und begleitete ihn bei Bedarf auch bis ins Geschäft. Ich denke, wenn er noch leben würde, könnte er sich an Gabi erinnern, denn er muß gespürt haben, wie es sie innerlich fast zerrissen hat, dieselbe grausame Situation nochmals durchleben zu müssen. Wieder stand sie mit einem verträumten Blick vor diesem schönen Hund, den, ich muß es zugeben, eine Aura umgab, die zu sagen schien: You can look, but you better not touch. Und wieder blieb es beim “rein platonisch”, der Stachel saß jetzt noch tiefer. Fast zehn Jahre später trug es sich dann zu, daß sich Gabi in einem Tierheim befand und dort in einem der Zwinger in einer Ecke kauernd ein Exemplar dieser von ihr inzwischen heiß geliebten Rasse entdeckte, und es brach ihr fast das Herz. Sie hielt, ob ihrer eigenen Erfahrung, diese Hunde für unbezwingbar und mußte mitansehen, wie aus dieser Dogge ein Häufchen Elend geworden war. Dieser Hund ging ihr nicht mehr aus dem Sinn und besagter Stachel begann Gabi zu quälen. Doch einen Hund bei sich aufzunehmen, dazu - dachte sie - war ihr Drang nach Unabhängigkeit zu groß. Zwei Monate hat es gedauert um festzustellen, daß die ganze Unabhängigkeit sinnlos ist, wenn man dabei unglücklich ist. Denn das Glück dieser Erde, das hatten wir damals erkannt, liegt für uns nicht auf dem Rücken eines Pferdes, sondern im Blick eines Hundes. Also machte Gabi sich noch einmal auf den Weg in dieses besagte Tierheim. Die Dogge, die sie bei ihrem ersten Besuch gesehen hatte, ein Mädchen diesmal, sie hieß “Lady”, wollte die Tierheimleiterin nicht mehr abgeben, sie war schwer krebskrank und mittlerweile ins Hausrudel aufgenommen worden, wo sie ihre letzten Tage verbringen durfte. Aber, und darauf hatte das Schicksal es ja die ganze Zeit über abgesehen, ein anderes Doggen-Mädchen wartete dringend auf ein neues Zuhause. Eine ausrangierte Zuchthündin, etwa sieben Jahre alt und ziemlich heruntergekommen, körperlich, wie auch psychisch. Nach einer Woche des Grübelns und Überlegens waren die Würfel gefallen und die Doggen-Mama schloß ihre erste Dogge in die Arme - und damit konnte eine jahrelang unerledigte Handlung endlich erledigt werden. Aufgrund ihres schwarzen Fells und des weißen Flecks auf der Brust sollte sie “Orca” heißen. Orca war sanft wie ein Reh, anfangs auch genau so scheu, und so anhänglich, daß ich mir ernsthaft überlegte, ob ein Baby-Tragetuch für die frisch gebackene Mama nicht doch das Richtige wäre. Sie lasen sich gegenseitig die Wünsche von den Augen ab, und ihre gesamte Umwelt war, ich muß es zugeben, ein bißchen eifersüchtig. Es bahnte sich eine Beziehung an, die diesen Ausdruck mit Fug und Recht verdiente. Ja mehr noch, wer schon einmal diesem einen richtigen Hund in seinem Leben begegnet ist, weiß, wovon ich rede: ohne zu urteilen, ohne den anderen verändern zu wollen und ihn mit all seinen Fehlern so hinzunehmen, wie er nun mal ist, einfach nur die Gegenwart des anderen zu schätzen, in schweren Zeiten füreinander zu da sein oder gemeinsam das Leben zu genießen - wie oft gibt es Beziehungen zwischen Menschen, die da mithalten können? Acht Jahre dauerte dieses große Glück. Eine lange Zeit, wenn man bedenkt, daß Orca eigentlich schon alt war, als sie zu uns kam. Aber das Schicksal hat Orca, wie vielen Tierheimhunden, mit der berühmten zweiten Chance ein zweites Leben geschenkt. Nach kurzer Zeit hatte sie sich gesundheitlich und psychisch erholt und genoß das Leben in vollen Zügen: allabendliche Kuschel-Runden in Gabis Bett, Almhütten-Urlaube, Ausflüge in den Bayerischen Wald und - der Täter kehrt an den Tatort zurück - einige Camping-Urlaube in Südfrankreich. Über die schmerzvolle Zeit, in der Orca dann aufgrund ihres hohen Alters, sie wurde immerhin 15 (!) Jahre alt, krank wurde und starb, möchte ich dem Leser nichts erzählen. Zum einen gibt es dafür keine Worte, zum anderen bleiben auf Dauer, und auch das weiß jeder, der schon einmal das Glück hatte, so etwas zu erleben, die schönen Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Orca starb im Juli 1996. Ende Dezember 1996 erfuhr Gabi - wer glaubt noch an einen Zufall? - von einem alten Doggen-Mädchen, das in einem Tierheim bei Warschau, ja, das in Polen, dem Erfrierungstod preisgegeben, auf sein Ende wartete. Was soll ich noch sagen - der Rest ist Vereinsgeschichte. (lh) |