Pollo
Er ist so mächtig – und
doch so hilflos gegen seine Krankheit. Die Deutsche Dogge Pollo:
Verantwortungslos überzüchtet, viel zu groß, riesiger Schädel mit
hängenden Augenlidern und chronischer Bindehautentzündung – und er hat
auch noch einen genetischen Defekt, vergleichbar der „multiplen
Sklerose“ beim Menschen. Durch einen Nervenschaden kommt es zum
Muskelschwund; er kann die Bewegung seiner Beine nicht so recht
kontrollieren; wenn er sich bewegt, erinnert er an eine Marionette. Als der Züchter, der ihn ursprünglich selber behalten wollte, bemerkte, dass Pollo offenbar krank war, hatte er für ihn keine Verwendung mehr, er beschloss daher, ihn einschläfern zu lassen. Jemand indes bot an, ihn zu nehmen – für geschenkt, als Wachhund würde er schon noch taugen. Als aber die Krankheit fortschritt, wollten auch diese Leute ihn nicht mehr haben; mehr als ein Blutbild und ein paar Cortison-Tabletten konnte man nicht investieren. So brachten sie ihn also zu den Tierfreunden Niederbayern. Hier versuchen wir, ihn trotz seiner Behinderung ein Hundeleben führen zu lassen, so gut es eben geht. Er tapst mit zum Tor, wenn eine von uns weggeht, und holt uns - zusammen mit der gesamten Hausmeute von immer so zwischen 15 und 20 Hunden - ebenda wieder ab, wenn wir heimkommen. Er bellt mit den anderen, wenn irgendwas nicht ganz geheuer erscheint. Er rutscht ungeduldig hin und her, wenn’s gleich Essen gibt; seine Schüssel allerdings kann er nur im Liegen leeren, er kann nicht so lange stehen, wie er bei seiner Größe essen muss. Oft darf er auch mit im Auto sitzen, wenn eine von uns einkaufen fährt.
Wenn’s klingelt und die
Meute brüllend zum Hoftor stiebt, muss Pollo natürlich auch mit.
„BESUCHER ALARM!!!“ Da wird gequietscht, gebellt, gedrängelt, an der
Engstelle durch die Haustür gestoßen und gerempelt, dann rum ums Haus,
lautstarke Empörung, 20 Meter Spurt in Höchstgeschwindigkeit Richtung
Eindringling am Tor, dass einem die Kieselsteine nur so um die Ohren
pfeifen. Und Pollo müht sich hinterher; klar die Meute hängt ihn ab, die
anderen strecken längst ihre Nasen durch den Zaun, bis er es grade mal
vom Sofa runter und auf den Hausgang geschafft hat. Dass er viel zu
langsam ist, versucht er indes dadurch wettzumachen, dass er dabei ein
möglichst grimmiges Gesicht macht. Sollte je ein Dieb, ein Mörder oder
auch nur der Kaminkehrer es schaffen, die röhrende Meute am Tor
niederzuringen, spätestens an der Haustür würde jeder Angreifer durch
diesen zu allem entschlossenen Blick aus Pollos blutunterlaufenen
Hängelideraugen gestoppt. Gründliche Tests in der
Uniklinik haben ergeben, dass Pollos Krankheit unheilbar ist:
fortschreitende „hochgradige axonale Neuropathie“, was heißt, die Nerven
sterben ab, Muskelschwund, doggentypisch. Die Neurologin, deren Herz
dieser freundliche, tapsige und immer so bemühte Riesenhund natürlich
mit einem Klacks erobert hatte (ebenso wie das vom gesamten übrigen
Personal, bis hin zum Nachtpförtner), diese Ärztin empfiehlt
Beschäftigung, mäßige Bewegung, Massagen, um den Krankheitsverlauf ein
wenig zu verlangsamen. Aber egal, wie lange es dauert, zwei Dinge sind gewiss: In der verbleibenden Zeit wird er es gut haben bei uns auf dem Gnadenhof. Und es dürfen in dieser Zeit auf keinen Fall die Wiener Würstchen ausgehen. (gh)
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