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Pollo

Er ist so mächtig – und doch so hilflos gegen seine Krankheit. Die Deutsche Dogge Pollo: Verantwortungslos überzüchtet, viel zu groß, riesiger Schädel mit hängenden Augenlidern und chronischer Bindehautentzündung – und er hat auch noch einen genetischen Defekt, vergleichbar der „multiplen Sklerose“ beim Menschen. Durch einen Nervenschaden kommt es zum Muskelschwund; er kann die Bewegung seiner Beine nicht so recht kontrollieren; wenn er sich bewegt, erinnert er an eine Marionette.
Trotzdem ist er so freundlich und vor allem fröhlich, wie ein Hund mit zwei Jahren nur sein kann. Er freut sich über jedes kleinste bisschen Zuwendung, liebt es geknuddelt zu werden, robbt sich ran, wenn man sich zu ihm setzt. Schnell hat er bei uns gelernt, auf dicken Kissen und sogar auf dem Sofa zu sitzen - schließlich sind wir bekannt als „5-Sterne-Tierheim“: Rudelhaltung auf einem alten Bauernhof mit viel Platz draußen und jeder Menge Sofas drinnen. Dies ist nur möglich, weil wir vielfältige Unterstützung erhalten. An dieser Stelle sei einmal herzlich dafür gedankt!
Für den großen Grautiger-Rüden Pollo heißt das: Streicheleinheiten, gutes Futter, kuscheliges Bettchen und Salbe für die entzündeten, schmerzenden Augen – dergleichen Fürsorge kannte er bisher nicht. Als er sein erstes Wiener Würstchen bekam, war er glatt überwältigt. „Boah! Is ja irre!! Gibt’s davon noch mehr??“ Fünfmal täglich Salbe in beide Augen? Kein Problem, wenn man in der einen Hand die Tube und in der anderen schon die Wiener Wurst bereithält. Für diesen „erstklassigen Stoff“ aus dem Kühlschrank würde der Bursche alles tun.

Als der Züchter, der ihn ursprünglich selber behalten wollte, bemerkte, dass Pollo offenbar krank war, hatte er für ihn keine Verwendung mehr, er beschloss daher, ihn einschläfern zu lassen. Jemand indes bot an, ihn zu nehmen – für geschenkt, als Wachhund würde er schon noch taugen. Als aber die Krankheit fortschritt, wollten auch diese Leute ihn nicht mehr haben; mehr als ein Blutbild und ein paar Cortison-Tabletten konnte man nicht investieren. So brachten sie ihn also zu den Tierfreunden Niederbayern.

Hier versuchen wir, ihn trotz seiner Behinderung ein Hundeleben führen zu lassen, so gut es eben geht. Er tapst mit zum Tor, wenn eine von uns weggeht, und holt uns - zusammen mit der gesamten Hausmeute von immer so zwischen 15 und 20 Hunden - ebenda wieder ab, wenn wir heimkommen. Er bellt mit den anderen, wenn irgendwas nicht ganz geheuer erscheint. Er rutscht ungeduldig hin und her, wenn’s gleich Essen gibt; seine Schüssel allerdings kann er nur im Liegen leeren, er kann nicht so lange stehen, wie er bei seiner Größe essen muss. Oft darf er auch mit im Auto sitzen, wenn eine von uns einkaufen fährt.

Wenn’s klingelt und die Meute brüllend zum Hoftor stiebt, muss Pollo natürlich auch mit. „BESUCHER ALARM!!!“ Da wird gequietscht, gebellt, gedrängelt, an der Engstelle durch die Haustür gestoßen und gerempelt, dann rum ums Haus, lautstarke Empörung, 20 Meter Spurt in Höchstgeschwindigkeit Richtung Eindringling am Tor, dass einem die Kieselsteine nur so um die Ohren pfeifen. Und Pollo müht sich hinterher; klar die Meute hängt ihn ab, die anderen strecken längst ihre Nasen durch den Zaun, bis er es grade mal vom Sofa runter und auf den Hausgang geschafft hat. Dass er viel zu langsam ist, versucht er indes dadurch wettzumachen, dass er dabei ein möglichst grimmiges Gesicht macht. Sollte je ein Dieb, ein Mörder oder auch nur der Kaminkehrer es schaffen, die röhrende Meute am Tor niederzuringen, spätestens an der Haustür würde jeder Angreifer durch diesen zu allem entschlossenen Blick aus Pollos blutunterlaufenen Hängelideraugen gestoppt.
Wenn die anderen Hunde, vor allem kleinere – Vroni, die Bracke, Lukas, der Border, Berti, der Terrier – draußen Rambazamba machen, geht Pollo manchmal mit raus, schaut ihnen zu, wie sie – wie die Irren – toben, rennen, Löcher buddeln. Oft bückt er sich dann, hebt mühsam ein Spielzeug oder Stöckchen auf, tapst auf seinen dürren Beinen hinter den Kleinen her. Wenn er dann mit dem großen Kopf wackelt, das Stöckchen bedächtig von einer Seite zur anderen schwenkt, so ist das schon die allerwildeste und ausgelassenste Form seines Spiels. Wenn er sich aber hinlegen muss, ein wenig verschnaufen, laufen ihm die Kleinen davon – er bleibt zurück, die riesigen Lefzen hängen lang und traurig zu beiden Seiten des Stöckchens herab.

Gründliche Tests in der Uniklinik haben ergeben, dass Pollos Krankheit unheilbar ist: fortschreitende „hochgradige axonale Neuropathie“, was heißt, die Nerven sterben ab, Muskelschwund, doggentypisch. Die Neurologin, deren Herz dieser freundliche, tapsige und immer so bemühte Riesenhund natürlich mit einem Klacks erobert hatte (ebenso wie das vom gesamten übrigen Personal, bis hin zum Nachtpförtner), diese Ärztin empfiehlt Beschäftigung, mäßige Bewegung, Massagen, um den Krankheitsverlauf ein wenig zu verlangsamen.
Auf meine Frage „Wie lange wird es denn noch gehen? Was meinen Sie? Ein Jahr – oder mehr?“ – meinte sie, ein Jahr wäre eine zu optimistische Prognose. Wahrscheinlich weniger. Schade um diesen wundervollen Hund!

Aber egal, wie lange es dauert, zwei Dinge sind gewiss: In der verbleibenden Zeit wird er es gut haben bei uns auf dem Gnadenhof. Und es dürfen in dieser Zeit auf keinen Fall die Wiener Würstchen ausgehen. (gh)


Pollo, links, und sein Kumpel Robin, auf dem Sofa

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