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Der Bus

Heute gibt es mal eine ganz andere Geschichte. Sie handelt nicht von einem Hund, auch von keinem anderen Tier, sondern von einem Auto. Natürlich nicht von einem gewöhnlichen, sondern von einem königlichen Auto.
Wir hatten diesen 17 Jahre alten VW-Bus vor allem für den Transport großer Hunde gekauft; ein Fahrzeug mit viel Platz, niederem Einstieg und viel Bodenfreiheit. Ideal, um mit der Hundemeute rauszufahren an die Felder, die Flußwiesen, an den Waldrand. Schiebetür auf und los ging es.

Nun - ganz ohne Hund geht es natürlich auch in dieser Geschichte nicht: Rambo. Ein riesengroßer Doggenrüde, schwarz wie die Nacht.

Rambo hatte früher auf den Straßen der polnischen Stadt Rawa Mazowiecka gelebt, sich an den Fenstern sein Futter zusammen gebettelt, im Winter sicherlich elend gefroren. Bis Bozena Wahl Erbarmen hatte und ihn in ihrem Tierheim aufnahm. Dort mußte er noch vier lange Jahre warten, bis es endlich so weit war...

Als ich ihn bei Bozena zum ersten Mal sah, waren noch mindestens 40 andere kleinere Hunde mit ihm im Zimmer; er saß mittendrin, schaute mich an und wußte, daß sich das Blatt in seinem Leben nun endlich wenden sollte, daß jemand gekommen war, ihn zu holen. Ich nahm ihn also mit nach Niederbayern. An diesem Neujahrstag 1997 begann für ihn erst das, was er unter leben verstand; und er hatte verdammt viel nachzuholen.
Rambo liebte alles: das Leben, das gute Essen, seine Couch, die Matratze in der Sonne, die Spaziergänge, uns - und ganz besonders “seinen” Bus. Nie konnte man mit Rambo die Einfahrt entlanggehen, ohne daß er nicht zuerst an der Schiebetür des Busses stehengeblieben wäre, in der Hoffnung, wir steigen ein und brausen los in Richtung Freiheit und Abenteuer. Wann immer wir über Land fuhren, war er so aufgeregt, daß er nicht sitzen oder liegen konnte. Er stand zwischen den Vordersitzen, die Augen sprühten Glückssterne und er bellte, daß es uns fast die Ohren wegfetzte: “Schneller - ich hab’s eilig - glaubt ihr denn, die Hasen warten ewig auf mich - schneller - SCHNELLER!” Selten haben wir einen glücklicheren Hund gesehen. Irgendwie war klar, daß das “sein Auto” war und wir halt nur die Chauffeusen.

Rambos Flitzer
So kutschierten wir ihn Monat für Monat, Jahr für Jahr in seinem Bus durch die Lande; Menschen standen am Straßenrand, verwundert ob der bellenden, dröhnenden Blechkiste, die an ihnen vorüberrauschte. Rambo war’s zufrieden, war er doch vom bettelarmen Straßenjungen in Polen aufgestiegen zum König von Guntersdorf - so nannten wir ihn. Rambo besaß Souveränität, Autorität und Stolz, gleichzeitig Güte und augenzwinkernden Humor, so daß er alle Menschen praktisch mit einem Fingerschnippen in seinen Bann ziehen konnte.
Ob er nun würdevoll schreitend sein Reich inspizierte oder sich mit seinem vierbeinigen Hofstaat in irgendein Getümmel stürzte, er war stets jeder Zoll ein König - vermutlich der beste, den Guntersdorf je hatte. Und er hatte einen wahrhaft königlichen Dickschädel der ganz besonderen Art. Rambo war kein Hund, dem man Befehle erteilte; man konnte ihm bestenfalls Vorschläge machen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue erwog er dann, ob er dem Vorschlag stattgeben sollte - oder auch nicht.

Rambo wußte immer, was er wollte, und vor allem, wie er es kriegen konnte. Kekse zum Beispiel: Mit erpresserischer Ausdauer verharrte er so lange vor dem Schränkchen, in dem “seine Kekse” (natürlich “Prinzenrolle” für den König - in der preisgünstigen Familienpackung) aufbewahrt wurden. Niemals wäre er ohne sein Schoko-Keks wieder abgezogen - wer waren wir denn, es ihm zu verweigern?! Aber er übertrieb es auch nicht. Nach einem oder auch zwei Keksen, je nachdem, wieviel halt nötig war, um seinen Blutzuckerspiegel auszugleichen, drehte er ab und verließ freiwillig die Küche.
Überhaupt war Rambo sehr streng mit uns, was seinen königlichen Speisenplan betraf. Von dem Fraß aus der Dose zum Beispiel bekam er keinen Bissen runter. Wenn es mal schnell gehen mußte und ich es doch hin und wieder mit einer (sündteuren) Fleisch-pur-Dose probierte, war sein Kommentar ein langer, strenger Blick, der heißen sollte: “Das muß ich mir nicht antun!” - und er wandte sich von der Schüssel ab.
Was er dagegen sehr liebte, war Geflügel. Ich glaube, kein Mensch auf dieser Welt hat soviel Zeit dafür aufgewendet, Hühnchenknochen auszulösen, wie Lynn und ich. Im Bemühen um Zeitersparnis versuchte ich es dann doch mal mit Hühnchenteilen aus der Dose (800 g zu 5 Mark im Fachhandel!). Rambos Reaktion könnte man wie folgt übersetzen: “Merk dir eins, Alte: Ich mag Hühnchen - als Wurst, gekocht mit Suppe oder gebraten... ABER NICHT AUS DER DOSE!” Er ließ die Schüssel einfach stehen.
Wasser geruhte er nur zu sich zu nehmen, wenn es mit einem Schuß Sahne verfeinert war. Was die anderen Hunde davon hielten, ihr Wasser pur trinken zu müssen, brauche ich wohl nicht näher auszuführen.

Nun soll aber keineswegs der Eindruck entstehen, Rambo wäre ein blasierter Angeber voller Allüren gewesen. Ganz im Gegenteil, er liebte das pralle Leben in Guntersdorf, wollte immer und überall dabei sein. Wenn es mal notwendig war, die Hunde im Haus zu verwahren - weil zum Beispiel ein Traktor aufs Gelände fuhr oder Landvermesser ihre Geräte aufstellten -, hatte er dafür wenig Verständnis. Klack-klack - machte er die Türen auf, und zwar mit den Zähnen an der Klinke, zog rückwärts gehend die Tür so weit auf, daß er bequem durchgehen konnte - die restliche Meute hinterher, und mit Halali ging’s in Richtung Landvermesser oder Traktor.

Rambo I. von Guntersdorf

Auch beim Spazierengehen war sein Motto “Ein Mann muß tun, was er tun muß”. Bei seinem schon erwähnten Faible für Feldhasen kann sich der Leser leicht ausmalen, wie das konkret aussah. Dabei schien er mit den Hasen eine Art Gentleman’s Agreement getroffen zu haben: Er erwischte sie nicht, dafür liefen sie nicht allzu schnell davon. Einmal lief Rambo kreuz und quer über ein Feld: Kaum war der eine Hase am Horizont verschwunden, kam schon der nächste entgegen, also umdrehen und hinterher und so fort. Ich rannte am Feld entlang, brüllte verzweifelt, er solle zurückkommen. Er muß mein Gebrüll als Begeisterungsschreie mißdeutet haben, denn er wandte nur kurz den Kopf, strahlte mich an mit dem unschuldigsten Lachen und rief zurück: “Hey Alte, hast du auch so viel Spaß wie ich!? Komm doch her, zu zweit erwischen wir ihn vielleicht!”
Die wenigen Jäger unter meinen Lesern mögen mir verzeihen und Verständnis dafür haben, daß ich diesen Hund nicht an die Leine nahm, sondern ihn - wenn es irgend ging - sein Leben leben ließ.

Rambo hatte keinerlei Erziehung, die Bedeutung von Worten wie “Sitz”, “Platz” oder “Fuß” blieb ihm zeitlebens verborgen. Aber irgendwie klappte es doch immer. Wenn wir ihn riefen, kam er meistens - nicht aus Gehorsam, sondern vielleicht weil er neugierig war, was wir ihm zu sagen hätten - vielleicht aber auch nur, weil er uns liebte.

Ich könnte wohl noch stundenlang weitererzählen, und es würde mir doch nicht gelingen, den Zauber dieses Hundes einzufangen. Drum will ich langsam zum Ende kommen.
Die Hunde des Guntersdorfer Rudels vergötterten ihren Big Boss und vertrauten ihm bedingungslos, ihm wären sie barfuß durch die Hölle gefolgt. Auch Lynn und ich genossen die schöne Zeit mit Rambo. Aber wir wußten, daß sie nicht allzu lange währen sollte; ein Hund von seiner Statur wird nicht alt, das war uns immer bewußt.

Als es dann so weit war, daß Rambo uns verlassen mußte, machte er seine letzte Fahrt zum Tierfriedhof in diesem großen Auto, das ihn so oft hinausgebracht hatte auf die Wiesen und Felder und das er deshalb so heiß geliebt hatte.

Wir haben diesen Bus nun verkauft an einen Afrikaner. Der wird ihn nach Afrika bringen und ihn dort noch lange Zeit fahren können - vielleicht als Busch-Taxi im Zebra-Design in wilder Fahrt die Serengeti durchquerend.
Und wir können uns gut vorstellen, daß dieser Bus vielleicht nachts in der Savanne stehen wird und die wilden Tiere Afrikas werden sich um ihn versammeln und staunend seinen Geschichten lauschen: von einem großen Hund mit einer großen Seele; einem Hund, der nie folgte, aber trotzdem stets das Richtige tat. Er wird erzählen von Rambo, dem König von Guntersdorf.
(gh)

 

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