Man kommt vom Tierschutz wohl nie mehr los - hier ist eine der Geschichten, die vielleicht erklären können, warum. Er ist ein wunderschöner, großer, langbeiniger und eleganter Hund. Seine überaus charmante Art - ein Kavalier der alten Schule, höflich, unaufdringlich, aufmerksam - hat uns zu seinem Namen inspiriert: Rudolfo Valentino, kurz Rudi. Rudi hat nur ein Problem: Er ist ein Windhund. Wer tut sich das schon an und nimmt einen Hund, der ständig mit dem Wind um die Wette laufen muß? Für einen Windhund aber folgte er doch erstaunlich gut. Es war eine Freude, ihn rennen zu sehen. Er hatte es geschafft, sich mit unserer geschwinden Sarah anzufreunden - die sich zu derartigen Freundschaften sonst nur selten herabläßt -, und zu zweit flogen sie über die Wiesen und Felder. Und wenn man ihn rief, kam er zurück - und lächelte. Rudi lächelte immer; er lächelte auch noch, wenn ihm eigentlich zum Weinen war. Dieser obdachlose Geselle hatte bei uns Aufnahme gefunden, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und einen Platz auf dem Sofa (sofern einer frei war) - alles recht und schön. Aber tief drin war er unglücklich, er wollte halt was Eigenes haben, und nicht nur das zehnte oder zwölfte Rad am Wagen sein. Rudi witterte seine Chance, als Interessenten - ein Arzt-Ehepaar aus München - kamen, unseren Rudi kennenzulernen. Er nahm seinen ganzen Charme zusammen - und das war nicht wenig -, er schmeichelte und schmiegte sich an, knabberte der Frau an den Haaren, seine Augen drängten: “Nehmt mich mit, Ihr werdet es nicht bereuen!” Aber den Leuten gefiel seine Farbe nicht. Sie hatten sich eher einen sandfarbenen Hund vorgestellt, Typ edler afrikanischer Windhund - und unser Rudi ist halt bloß ein einfacher Pole mit den Farben einer Kuh: weiß mit großen schwarzen und braunen Flecken. Wir sind - trotz langjähriger “Feldstudien” - doch immer wieder erstaunt, wenn wir sehen, wie klar, schnell und treffend die Hunde verstehen, worum es geht. In diesem Fall ging es für Rudi um alles. Nachdem sie uns mit ihrem Geplauder und Wichtigtun gut eine Stunde von der Arbeit abgehalten hatten, schickten sich diese Leute also zum Aufbruch an. Und da setzte Rudi nochmal alles auf eine Karte. Er lag vor der Frau am Boden und legte seinen Kopf auf ihren Schuh, drückte ihren Fuß nieder, wie um sie festzuhalten. Mancher Leser wird jetzt schmunzeln und denken: “Unsinn, das gibt’s doch gar nicht; maßlos übertrieben!” Nein, lieber Leser, ich übertreibe nicht; jedes Wort ist wahr (wie übrigens in allen unseren Erzählungen). In diesem Moment wurde mein Kummer über Rudis Enttäuschung nur übertroffen von meiner Wut über so viel Kaltschnäuzigkeit. Schließlich hatten diese Leute von Telefongesprächen schon vorher gewußt, daß Rudi die “falsche Farbe” hat. Als sie gegangen waren, blieb mir nichts, als ihm zu versichern, daß diese Leute einen Hund wie ihn sowieso nicht verdient hätten; für ihn käme sicher noch eine tausendmal bessere Chance, er müsse nur noch ein bißchen Geduld haben. Er verzog sich in die Sofaecke, still und nachdenklich für den Rest des Tages. Einige Tage später bekamen wir ein E-Mail, bei dem wir sofort das Gefühl hatten: Hier kommt sie, diese tausendmal bessere Chance für Rudi. Aber es galt, noch eine Hürde zu nehmen. Diese Hürde hieß Aica und mochte partout keine anderen Hunde. Aica ist eine 7jährige Windhund-Mix-Dame, ursprünglich aus Griechenland nach Deutschland gekommen, die bei einer Vorbesitzerin jahrelang ein recht dürftiges Hundeleben geführt hatte. Sie durfte kaum Gassi gehen, hatte praktisch keinen Kontakt zu Artgenossen etc. etc. Aber dann hatte Aica das große Glück ihres Lebens und landete bei Susanne und Lennart Leßmann, zwei Menschen, denen Hunde so wichtig sind, wie sie halt sein sollten. Zu Susannes und Lennarts großem Kummer lehnte Aica kategorisch jeden Kontakt zu Hunden ab; da sie aber wußten, wie wichtig solcher Kontakt für ein wirklich erfülltes Hundeleben ist, gaben sie nicht auf und träumten von einem passenden Gefährten für ihre Prinzessin. Im Internet sahen sie ein Foto von Rudi und hatten das Gefühl, er könnte der gesuchte Prinz sein. Eines schönen samstags also kamen die drei aus Fürth den Rudi besuchen. Wie zu erwarten, war Aica alles andere als begeistert von dem langbeinigen Charmeur. Aber - oh Wunder - er war ihr wenigstens nur gleichgültig und sie floh nicht vor ihm, was für Susanne und Lennart schon höchst erfreulich und Grund zur Hoffnung war. Nach einem gemeinsamen Spaziergang hatte Rudi erkannt, daß das nun wirklich die richtige Familie für ihn wäre; also beschloß er, das Schicksal bei den Hörnern zu packen, und stieg kurzerhand zu Aica ins Auto, dann müßten sie ihn wohl mitnehmen - so dachte er bei sich. Aber die Leßmanns wollten die Entscheidung noch einmal überschlafen und die ganze Sache gründlich “mit Aica besprechen”. Sie versprachen, am nächsten Tag anzurufen. Also zerrten wir Rudi mit Mühe wieder aus dem Auto und ins Haus, er wußte ja nicht, daß es vielleicht nur eine einzige Nacht sein würde, die er noch durchhalten mußte. Am nächsten Morgen dann der Anruf: “Wir sind schon unterwegs zu Euch und holen den Rudi ab.” Als ich aufgelegt hatte, freuten wir uns, wir lachten und scherzten mit Rudi, klopften ihm auf den Rücken und erzählten ihm von einer ganz großen Überraschung. Er hatte natürlich keine Ahnung, was das Getue zu bedeuten hatte; mehr als ein halbherziges Lächeln brachte er an diesem Morgen nicht zustande. Aber als Susanne dann vor dem Hoftor stand, da wußte er, was es zu bedeuten hatte: sie waren zurückgekommen ihn zu holen! Er ging auf Wolken. Rudi ist einer dieser Hunde: steigt ins Auto der neuen Familie, fährt weg und dreht sich nicht mehr nach uns um. In diesem Moment zählt nur noch das atemberaubende Glück, das vor ihm liegt und gerade eben anfängt. Aber Aica, die kleine Leßmann-Prinzessin, zierte sich. Sie ließ Rudi und alle anderen Beteiligten noch eine ganze Weile zappeln. Es dauerte sechs Wochen und zwei Tage, bis wir aus Fürth das erlösende E-Mail erhielten, in dem stand: “Neues aus Fürth!!!!! Aica blüht neben Rudi richtig auf und liebt es, wenn er sie beschützt - was er auch sehr gerne tut!... Aica und Rudi sind mittlerweile unzertrennlich geworden; wir können es uns gar nicht mehr anders vorstellen... gab es je eine Zeit ohne Rudi?” Den Rest der Geschichte erzählt wohl am besten dieses Foto. (gh)Aica (links) mit Rudi in der Morgensonne |