Savannah
Die Gilde der Tierfreunde hierzulande
ist recht gespalten, wenn es um die Frage des Auslandstierschutzes geht.
Die einen sagen, es gibt doch in Deutschland schon genügend arme Tiere,
was sollen wir jenseits der Grenzen auch noch helfen! Die anderen, zu
denen wir - zugegeben - auch gehören, meinen:
Unsere Gesellschaft gibt sich gern kosmopolitisch, isst italienisch,
trinkt französisch, wohnt englisch, hat ein Ferienhaus in der Türkei,
in Spanien oder Griechenland; die mediterranen Gefilde sind praktisch zu
unserem Vorgarten geworden. Aber von dem Tier-Elend in ebendiesen
Ländern möchte man doch bitteschön nicht behelligt werden! Nicht ganz
fair, würde ich sagen.
Tier-Elend? Nehmen wir als Beispiel mal die spanischen Windhunde.
Podencos und Galgos werden trainiert, Wild zu hetzen, zu töten und die
Beute zu ihrem Herrn zu bringen. Damit sie das auch mit dem nötigen
Eifer tun, werden sie ohne Nahrung und Wasser in Kellern oder sonstigen
Verschlägen eingesperrt und - wenn sie richtig ausgehungert sind -
losgelassen. Aber wie, wird sich der Leser fragen, bringt man die Hunde
dazu, das erlegte Wild zu bringen, anstatt es an Ort und Stelle gleich
aufzufressen? Nun, dieses Problem löst der findige spanische Jäger
ganz einfach: Die Hunde haben gelernt, dass es ein Schälchen Wasser nur
dann gibt, wenn man Beute abliefert. Und Durst ist schlimmer als Hunger,
auf alle Fälle unter der sengenden Sonne Spaniens.
Wenn diese Hunde dann verbraucht sind, verletzt, kaputte Glieder haben,
werden sie beseitigt. Das Wie dieser Beseitigung hängt dabei von der
Mentalität des jeweiligen Hundebesitzers ab: ausgesetzt, in den
Wäldern angebunden zum Verhungern, mit Benzin übergossen und
angezündet oder an Bäumen aufgehängt. Es geht die Kunde, dass ein
guter Jagdhund höher aufgehängt wird, um ihm die Gnade eines rascheren
Todes zu gewähren - im Gegensatz zu denen, die nichts getaugt haben. So
das Schicksal von Zehntausenden jährlich.
Aber einige wenige von ihnen haben Glück und landen statt am Baum in
spanischen Tierheimen. Und wiederum nur einige wenige von denen haben
großes Glück und kommen aus diesen Tierheimen auch wieder raus. Hier
die Geschichte einer Galga.
Savannah, ein feenhaftes
Windhundmädchen in der Farbe des Wüstensandes, groß, von perfekter
Statur, ätherisch schön. Ihr Verhältnis zu Menschen ist pure Sanftmut
und unerschütterliche Herzlichkeit, was durchaus verwundert, wenn man
bedenkt, wie sie von Menschen bisher behandelt wurde. Als sie zu uns
kam, war Savannah übersät mit Verletzungen, der Schwanz war
aufgerissen, Fell und Fleisch drum herum abgefault und entzündet. Nur
tägliche Wundversorgung, Verbände mit Spezialgaze über Wochen konnten
die Amputation verhindern. Auch die Seele hatte tiefe Schrammen.
Savannah lag viel rum und starrte Löcher in die Luft.
Bis auf ein hartnäckiges Hinken aber hat sie sich gut erholt, rappelte
sich auf zu einem fröhlichen Rudelmitglied für die Hunde und zu einer
Augenweide für die Menschen.
Dann eines Tages der Anruf einer jungen Frau, die soeben Savannahs
wunderschönes Bild im Internet gesehen hatte und - bitte-bitte - noch
in derselben Stunde kommen wollte, diese Fee kennenzulernen. Meinen
Einwand, Savannah müsse nochmal in die Klinik, um das Hinken abklären
zu lassen, wollte sie nicht gelten lassen: Daran solle es nicht liegen,
alle ihre Hunde würden jederzeit erstklassig tierärztlich versorgt -
Frau K. würde also jetzt sofort losfahren. Kurze Zeit später betrat
sie den Hof, sah Savannah, kniete nieder, Savannah lief zu ihr hin,
ließ sich von Frau K. in die Arme nehmen. Tränen kullerten.
Selten schien eine Hundevermittlung so eindeutig zu sein: diese zwei
gehörten wohl zusammen. Frau K. war fast gekränkt, als wir uns
mehrmals versichern ließen, daß sie mit dem Hund nach angemessener
Eingewöhnungszeit in eine gute Klinik gehen würde, um das Bein
untersuchen zu lassen. Sie bekam also das Feengeschöpf. Ein großer
Augenblick, benetzt mit Frau K.‘s Tränen der Rührung, daß sie „diesem
armen, armen Hund“ nun helfen dürfe. Das Glück schien perfekt. Aber
wir hatten uns getäuscht. Zwar halten wir mit Aufmerksamkeit, Umsicht
und ein bißchen Fingerspitzengefühl auch ein zwanzigköpfiges Rudel
locker im Gleichgewicht; Zwischenfälle gibt es kaum und wenn, dann nur
kleinere. Im Umgang mit Menschen allerdings sind wir noch immer nicht
gegen wüste Überraschungen gefeit.
Die Seifenblase also platzte schon
bald. Bei hartnäckigen Nachfragen wurden wir von Frau K. einige Male
vertröstet: Nein, sie war noch nicht in der Klinik gewesen, der
nächstgelegene Landtierarzt hatte ihr gesagt, da könne man sicher
nichts machen, die Probleme mit der Schulter rührten wohl von einer
alten Bänderverletzung her, die sich aber nicht auf Röntgenbildern
darstellen lasse. Daß dieser Landtierarzt mit Schwerpunkt Großvieh
vielleicht nicht als größte Koryphäe auf dem Gebiet zarter
Windhundbeine anzusehen ist, war Frau K. freilich nicht in den Sinn
gekommen. Als sie uns dann noch mitteilte, der Tierarzt habe Savannahs
Fußnägel gekürzt und jetzt laufe sie schon viel besser, war der Ofen
aus. Klar, daß wir die Hündin umgehend zurückholen müßten.
Aber Frau K. kam uns zuvor: Savannah sei, so klagte sie, über den Zaun
gesprungen und weggelaufen, zweimal schon. Auf 20 Metern Länge sei ihr
Gartenzaun für diesen Hund wohl doch etwas zu niedrig. Und den Zaun
jetzt nur deswegen höher zu machen, wäre ja wohl etwas zu viel
verlangt. Sie möchte sie deshalb zurückgeben - sofort.
Gott sei Dank war Savannah über diese Wendung keineswegs unglücklich,
fühlte sich noch immer im Rudel zu Hause und nahm unverzüglich ihre
Wettrennen mit Rita wieder auf.
Wir allerdings hatten was zum Nachdenken. Vielleicht stimmt es ja, was
ich mal gelesen habe, daß es oft gerade die emotional Verkümmerten
sind, die bei einem Schnulzen-Film am lautesten schluchzen.
Die Geschichte ist damit noch nicht zu
Ende, denn nach Guntersdorf zurückzukommen, ist zwar nicht das
Schlimmste, was einem Hund passieren kann, ein wirkliches Happy End ist
es aber auch wieder nicht.
Als erstes fuhren wir mit Savannah in
die Klinik, wo eine Arthroskopie zwar ergab, dass das verletzte
Innenband der Schulter nicht operiert werden könne, eine Behandlung mit
Medikamenten und homöopathischer Unterstützung aber durchaus Besserung
verspreche.
Die Monate vergingen, alle Leute fanden Savannah nicht nur wunderschön,
sondern auch lieb und freundlich; aber es wollte und wollte nicht
klappen, für diese Fee auf vier Beinen das passende Zuhause zu finden.
Oft, wenn Besucher bei uns waren, fasste Savannah sich ein Herz und
fragte sie ganz direkt, ob sie denn nicht ein anschmiegsames,
großzügig Küsschen verteilendes Windhundmädchen bräuchten -
vergeblich. Es war wie verhext, und wenigstens einmal die Woche
wunderten wir uns: „Das gibt’s doch nicht, dass man so einen Hund
nicht vermitteln kann!“
Lange und geduldig wartete
Savannah auf ihren Prinzen
Daß die 400 Greyhounds von der
verkrachten Hunderennbahn in Rom im Herbst 2002 auf europäische
Tierheime verteilt worden waren und zur Vermittlung standen, machte die
Sache natürlich nicht einfacher. Nun ja, musste sie halt bei uns
bleiben; kein Problem, Savannah fiel uns nie zur Last, ganz im
Gegenteil.
Als schon fast ein Jahr um war, rief
eine Familie aus Dortmund an, die durch Einschaltung von „Greyhound in
Need“ auf uns oder vielmehr auf Savannah aufmerksam geworden war. Und
da war es wieder, dieses Gefühl: „Diesmal klappt’s!“ Es passte
alles: Familie R. hatte schon einen Hund, nämlich Noah, einen
10jährigen Greyhound-Rüden, vielleicht auch Galgo oder Chart Polsky,
so genau wusste man es nicht, weil auch Noah im Alter von fünf Jahren
aus einem Tierheim geholt worden war. Außerdem hatte diese Familie auch
noch einen Garten, hoch eingezäunt und groß genug, dass man darin auch
mal ordentlich durchstarten kann, und viel Windhund-Erfahrung. Auch die
kaputte Schulter konnte diese Leute nicht schrecken, schließlich war
ihr Noah ja auch nicht mehr der Jüngste und Allerschnellste. Da die R’s
bei „Greyhound in Need“ seit langem und gut bekannt waren, waren die
Formalitäten schnell erledigt, sie setzten sich also schon vier Tage
nach dem ersten Telefonat ins Auto, um von Dortmund 600 Kilometer nach
Guntersdorf zu fahren. Noah war natürlich dabei.
Es war wie im Märchen. Noah, der edle Prinz, bog um die Ecke,
Prinzessin Savannah erblickte ihn, und im selben Augenblick wars um die
beiden geschehen. Sie erkannten sich als verwandte Seelen, beschlossen,
sich von Stund an nie mehr zu trennen. Seine Familie und wir konnten
eigentlich nur noch unseren Segen dazu geben. Sie zeigte ihm den
Dornröschengarten, in dem sie so ungefähr 333 Tage auf ihn gewartet
hatte, und dann reichte der Prinz seiner Liebreizenden den Arm, um sie
hinauszuführen. Das Ehepaar R. - an den Enden der beiden Flexi-Leinen -
und wir schritten in gebührendem Abstand und im Bewusstsein des großen
Augenblicks hinterher. Federleicht sprangen Prinz und Prinzessin in
seinen weißen Wagen, ließen sich nebeneinander nieder und fuhren
davon.
Wir winkten noch hinterher, Savannah
schaute sich kurz um und dann gleich wieder nach vorne. (gh)
Prinzessin Savannah (links) und
Prinz Noah in seinem weißen Wagen
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