Ihre regelmäßigen
Anrufe und Berichte über die „Trend-Setter“ von Dresden sind uns
zur lieben Gewohnheit geworden und erinnern uns an eine schöne
Begegnung.
Daß man im Tierschutz außergewöhnliche Leute trifft, ist eher die
Regel als die Ausnahme. Manchmal trifft man auch jemanden, der einen
noch echt beeindrucken kann - so wie die Sylke aus Dresden.
Eines nachmittags am
Computer, im elektronischen Briefkasten eine Anfrage nach unserer alten
Biene. Tja, nun gilt es, diese Interessentin irgendwie abzuwimmeln. Denn
Biene ist nun wirklich schon alt und gebrechlich und immerhin seit fast
einem Jahr bei uns. Ihr Foto steht eigentlich nur noch deshalb auf
unserer Internetseite, weil es ein so hübsches Foto ist - mit einer
ernsthaften Anfrage nach ihr haben wir nicht im Traum mehr gerechnet.
Ich schreibe umgehend zurück und erkläre also dieser Frau aus Dresden,
die an ihren Ausführungen als echte Setterfreundin zu erkennen ist,
warum sie die Biene nicht bekommen kann. Die Absage ist mir
einigermaßen peinlich, deshalb sage ich nicht nur ab, sondern plaudere
ein bißchen, hole etwas weiter aus und berichte von einer anderen
Setterhündin in einem Tierheim in Belgrad: Wir transportieren hin und
wieder Hilfsgüter in ein Tierasyl in Belgrad. In einer
Videoaufzeichnung der dortigen Organisation Help Animals hatte ich sie
gesehen. Seka, Irish Setter, 12 Jahre alt, muß dieser Tage an Krebs
operiert werden...
Mit dieser Antwort sei die Sache erledigt, dachte ich. Ganz falsch
gedacht: Nach 10 Minuten die Antwort: „Darf ich fragen, wann der
nächste Hilfsgütertransport stattfinden soll? Ich würde mich gern
anschließen.“ Da war ich schon einigermaßen überrascht.
Kurze Zeit später kam sie also von Dresden angereist, diese schillernde
junge Frau, kräftig, athletisch, mit wallenden Haaren, Sozialarbeiterin
in der mobilen Jugendarbeit, Bassistin in einer Heavy Metal Band und vor
allem zartbesaitete Tierfreundin. Zusammen zogen wir los, um die Spenden
nach Belgrad zu bringen und diese kranke Hündin abzuholen, von der
Sylke nichts wußte, außer daß sie Hilfe brauchte. Nie hatte sie nach
Einzelheiten gefragt: Ob die Seka brav ist, sich mit anderen Hunden
verträgt, ob sie gut an der Leine geht oder vielleicht sogar ohne Leine
laufen kann - nichts davon war für sie von Bedeutung.
Je näher wir unserem Ziel kamen, um so stiller und aufgeregter wurde
Sylke; endlos lang zogen sich die letzten Kilometer hin, bis sie die
Hündin endlich in die Arme nehmen konnte. Du liebe Güte, die Hündin
sah schrecklich aus: klapperdürr, wacklig auf den Beinen, erst
kürzlich operiert worden, verwirrt, sie machte einen ernsthaft kranken
Eindruck.
Auf dem Rückweg fühlte ich mich irgendwie verpflichtet, der Sylke ein
Angebot zu machen: „Hör mal, wenn du es dir anders überlegst, hab
ich wirklich Verständnis. Mit einem so schwerkranken Hund halst du dir
ernste Probleme auf. Die Seka könnte doch in Guntersdorf bleiben, sie
wäre bei uns gut aufgehoben...“
Die Antwort war weder aggressiv noch selbstgerecht, aber sehr, sehr
bestimmt: „Liebe Gabi, du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich ohne
diese kleine Maus nach Hause fahre.“
Und so ging die
Geschichte weiter, Seka erzählt selbst, Sylke hat es für sie
aufgeschrieben.
Seka Sonnenschein
Ich bin Seka, ein
Irish Setter-Mädchen. Im Alter von 8 Jahren kam ich zerschunden und mit
Wunden übersät in ein Tierheim in der Nähe von Belgrad. Die traurigen
Jahre davor - mit Krieg und was nicht alles - hab ich mit viel Mühe
vergessen, ich will sie jetzt nicht wieder herauskramen. In diesem
großen Tierheim lebte ich erst mal zwei Jahre in einem Küchenschrank
und kam nur für meine nötigsten Geschäfte heraus. Ich hatte einfach
ständig Angst ... es gingen noch mal zwei Jahre ins Land, dann mußte
ich an Krebs operiert werden (das sagte zumindest der Tierarzt in
Belgrad, auch wenn ich mir darunter nichts richtiges vorstellen konnte).
Eine Woche später wurde ich in ein Auto gepackt, mit vielen guten
Wünschen bedacht und auf eine lange-lange Reise geschickt mit drei
Frauen aus Deutschland - eine davon hat sich besonders um mich
angenommen. Sie sollte mein neues Frauchen sein, was ich damals aber
noch nicht wissen konnte. Sie sagte, ich sähe aus, wie eine „Atcha in
alt“ - wer war bloß diese Atcha??? Ich bin doch ein Setter!!!! Als
gute Autofahrerin habe ich die lange Reise total verschlafen, bis wir
spät abends nach Dresden kamen - wir wurden schon erwartet ... von
Rüdi, meinem neuen Herrchen, und von eben dieser Atcha. Atcha - von
allen „Rübchen“ genannt - ist auch ein Irish Setter, allerdings gut
9 Jahre jünger als ich, sie hat ziemlich viel Unsinn im Kopf. Sie
erklärte mir kurz brummelnd, wer hier der Chefhund ist - kein Problem
für mich, schließlich bin ich eine Lady. Atcha wurde meine allerbeste
Freundin. Nach zwei Wochen schliefen wir schon zusammen auf der Couch
und teilten alles miteinander.
Dr. Dziwok, den Tierarzt von Dresden, kenne ich inzwischen wie meine
Schwanzspitze, schließlich war ich monatelang Dauergast in seiner
Praxis. Zuerst mußte ich in Chemotherapie wegen der Tumorgeschichte.
Nach sechs Wochen war ich davon geheilt. Soweit so gut. Leider waren
meine Herzwände aber so dünn wie ein Plastebeutel, mein ganzer Bauch
voller Wasser, weil meine Nieren kaum mehr arbeiteten - wohl klar, daß
mir darüber auch noch der Appetit vergangen ist. Nebenbei
diagnostizierte der gute Doc eine schwere Spondylose, erklärte aber,
dass das wohl das geringste unserer Probleme wäre. Egal - Frauchen
Sylke und Herrchen Rüdi waren bereit, um mich zu kämpfen, also
kämpfte ich mit! Und weil sie jeden Tag extra für mich kochten - es
gab lecker Hühnchen mit Reis - hab ich das Zeugs halt so gut es ging
aufgegessen. Frauchen wollte dann mein Fitness-Programm mit ganz kleinen
Runden im Wald beginnen ... aber nicht mit mir! Wenn, dann das volle
Programm! Zehn Kilometer reite ich auf einem Hinterbein ab. Rübchen
Atcha zeigte mir dann auch, wo die Mäuse wohnen; auf dem Heimweg sahen
wir beide jedesmal aus wie die Dreckschweine, Frauchen mußte lachen.
Nicht so lustig fand sie allerdings, als Atcha mir das Jagen zeigen
wollte. Sie brummelte, dass ihr ein „blöder Im-Wald-an-der-Leine-Hund“
reichen würde. Atcha - muß ich vielleicht erklären - war nämlich
seinerzeit im Wald gefunden worden - mit einem ausgerenkten Hinterbein
und einem angezündeten Schwanz! Sie hatte sich dort wohl eine Weile
allein ernähren müssen, und jetzt jagt sie alles, was ihr vor die Nase
kommt. Sie kann einfach nicht anders, obwohl mit ihr ganz viel geübt
wird!
Auch mit mir wurde dann viel geübt und innerhalb von zwei Monaten
kannte ich alle deutschen Kommandos. Sylke hat mit mir in Russisch
begonnen, weil sie merkte , daß mir ein paar Befehle irgendwie bekannt
vorkamen, wie „sjuda“ - also „hier“ - und „sadisz“, was „sitz“
ist, sie meinte, endlich hätten sich die sieben Jahre Russisch in der
Schule mal gelohnt. Ich lerne gern und wedle ständig mit dem Schwanz,
weshalb mich alle „Sonnenschein“ nennen. Mit meinem
Gesundheitszustand ging es also steil bergauf, mein Herz hat sich wieder
berappelt, und nach vier Monaten war es soweit - meine Blutwerte waren
die eines gesunden Hundes! Der gute Doc steht deshalb übrigens bis
heute vor einem Rätsel. Und Spondylose? Pah - denkste! - Ich renne wie
der Wind, springe über Baumstämme, spiele mit dem Ball und balge mich
mit Atcha. Das Essen schmeckt mir, mit meinem Restbestand von sechs
Backenzähnen zerkaue ich sogar getrockneten Pansen. Ich bin zu allen,
also Menschen und Hunden, freundlich, Katzen muß man ja wohl nicht
mögen, als Hund. Ich liebe meinen Plüschkorb, darf auch im Bett
schlafen (aber der Korb ist mir manchmal lieber). Und das Schönste: der
„Hasenfernseher“ - da kann ich stundenlang davor liegen und den
Hopplern zuschauen.
Also so gut, das muß ich schon sagen, so gut, ist es mir in meinem
ganzen Leben noch nicht gegangen.
Trendsetter - sagt Sylke
Nur Silvester das war
komisch - da holte mich doch glatt meine Vergangenheit ein! Überall
knallte es, und ich dachte schon, der Krieg hat mich wieder! Ich
versuchte das ganze Rudel zusammenzuhalten und Verstecke für uns alle
zu finden. Herrchen nahm meinen Kopf, schaute mich an und erklärte mir,
dass das kein Krieg ist, sondern hier nur einmal im Jahr ein wenig
geknallt wird ... ich glaub, ich hab’s verstanden. Ich wünsche allen
alten Hunden ein so schönes Zuhause - ohne Krieg und Gewalt, dafür mit
viel Liebe und Kuscheleinheiten!
Eure Seka Sonnenschein (sb)
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