Wenn unsere Tante Jeannette nicht ans Telefon geht, so heißt das noch lange nicht, daß sie nicht zu Hause ist. Nein, es kann auch bedeuten, daß ein Kätzchen auf ihrem Schoß liegt und so gut schläft, daß sie es einfach nicht aufwecken will, bloß weil das Telefon klingelt. Oft hat man sie die Straße
überqueren sehen, rüber zum Bauernhof, bepackt mit einer großen
Tasche, darin Schüsselchen mit angewärmtem Katzenfutter. Die
heranwachsenden Katzenkinder dort und ihre halbwilden Mütter waren zwar
mißtrauisch und dem Menschen nicht sehr zugetan, deshalb aber nicht
weniger hungrig. Wo immer sie Katzenelend sieht,
mischt sie sich ein, etwa indem sie den Besitzern anbietet, Katzen auf
eigene Kosten tierärztlich behandeln, kastrieren oder impfen zu lassen
- und sie ist froh, wenn man sie gewähren läßt. So hat sich über die Jahre ein
bunter Haufen unterschiedlichster Katzen bei ihr zusammengefunden. Tante
Jeannettes großes, verwinkeltes Jahrhundertwende-Haus und das
dazugehörige Gartengrundstück sind immer heiß umkämpftes Katzenrevier.
Nachts herumstromernde Kater mißverstehen die geöffnete Katzenklappe
gerne als Einladung, hereinzukommen, alles auszuspionieren, sich die
Bäuche vollzuschlagen und schließlich mit den “rechtmäßigen”
weil vorher dagewesenen Bewohnern einen erbitterten Streit vom Zaun zu
brechen. In wilden Raufereien trampeln sie dann herum, fauchen, kratzen,
beißen, rennen kreischend an den Vorhängen hoch, bis Tante Jeannette
vom Schlaf hochschrickt. Erst wenn sie aufsteht und die Lichter anmacht,
ziehen die Eindringlinge von dannen, und es kehrt wieder Ruhe ein,
wenigstens für eine Weile - bis der nächste Eindringling lautlos die
nächtliche Wohnung betritt..... Tante Jeannettes Geduld mit den samtpfotenen Vierbeinern wird oft auf harte Proben gestellt. Sind Katzen im Zusammenleben mit Menschen oder anderem Getier ohnehin als wenig kompromißbereit bekannt, so gilt das erst recht für das bei Tante Jeannette angeschwemmte feline Strandgut. Dieses scheint nämlich zu glauben, daß alles, was sich in der Wohnung einer Katzenfreundin befindet, für Katzen auch irgendeinen Zweck haben muß. Sie turnen an den schweren Vorhängen, schärfen sich die Krallen an den Polstersesseln und Tapeten oder kicken Zierrat, den sie nicht anderweitig benötigen, vom Regal, um die hübschen kleinen Gegenstände im freien Fall beobachten zu können. Und was macht - sagen wir - ein von der Straße aufgelesener, in seinen Umgangsformen naturbelassener Kater, um dem Rest der Welt mitzuteilen, daß diese Wohnung auf ewig die Seine sein soll? Richtig. Er markiert aus Leibeskräften. Da muß auch schon mal eine handgeknüpfte Perserbrücke dran glauben, wenn sie das Pech hat, an einer strategisch wichtigen Stelle zu liegen. Tante Jeannette aber müht sich
redlich, diese Vandalen glücklich zu machen, und das fängt bei der
Wahl des richtigen Futters an. Man probiert ja bereitwillig die vielen
Marken und unzähligen Geschmacksrichtungen durch, wenn man am Ende dann
weiß, was die Leckermäuler mögen. Und plötzlich hat Tante Jeannette
dann wieder mal einen Volltreffer gelandet. Seit drei Tagen schon
verdrücken die Katzen Unmengen von - um keine Werbung zu machen, nennen
wir es einfach - “TomCat - Putenherzen & Seelachs”;
Geschmatze, Geschnurre und leergeputzte Teller. Zufrieden, ob der
prallen Bäuche leicht wankend, verlassen sie eine nach der anderen die
Küche, um wohlgestärkt den weiteren Tageschäften nachzugehen. Die
letzte dreht sich an der Türschwelle nochmal um und wirft Tante
Jeannette einen langen Blick aus diesen wunderschönen Katzenaugen zu:
“Kompliment, da hast du wirklich erstklassigen Stoff aufgetrieben. Wir
wollen nie wieder was anderes essen!” Tante Jeannette greift nach
Geldbörse und Autoschlüssel und verläßt eilig das Haus. Zurück
kommt sie - wie könnte es anders sein - mit einer Kofferraumladung voll
“TomCat - Putenherzen & Seelachs”. Aber einmal hatte Tante Jeannette ein Kätzchen, das war ganz anders. Ein bißchen klein von Statur, aber eine große Schmusekatze vor dem Herrn; wollte immer nur schmeicheln, auf dem Schoß sitzen, stupsen und gestreichelt werden; liebevoll und ganz nah, wie Katzen halt auch sein können. Nicht lange, nachdem Tante Jeannette sie für uns in Pflege genommen hatte, stand fest: Dieses kleine rote Kätzchen, Mimi hieß sie, würde sie nicht mehr hergeben. Mimi dankte der Katzenfreundin nicht nur für die Liebe und Geborgenheit, die sie hier erfuhr, sondern entlohnte sie auch im Namen all ihre samtpfotenen Brüder und Schwestern, die in diesem Haus schon Aufnahme und Fürsorge gefunden hatten. Aber nach 3 Wochen wurde Mimi schwer krank, und bald war klar, daß sie sterben würde. Zwei Wochen dauerte der Kampf um das Leben der kleinen Mimi, dann starb sie in Tante Jeannette’s Armen, wohlbehütet bis zum Schluß. Heute, lange nach ihrer kurzen Begegnung mit dieser Schmusekatze, spricht sie noch oft von ihr, erzählt vom großen Glück mit der kleinen Mimi. (gh) |